Ruhrgebiet. Sie klappern bedenklich und zuckeln gemächlich – und doch erdrücken sie die Kommunen mit ihren Kosten: Die Straßenbahnen. Fast jede Stadt im Ruhrgebiet hat ihre eigene, und das hat natürlich kuriose Folgen. Manchmal passen nicht einmal die Spurweiten zusammen. Ein Fahrbericht.

Sie hat ihre besten Zeiten lange hinter sich. Sie ist laut wie eine Waschmaschine im Schleudergang und die blutroten Schalensitze sind hart. Trotzdem ist die Straßenbahn der Linie 901, die gerade den Tunnel in Mülheim verlässt und nun Richtung Duisburg quietschend voranruckelt, eine teure Angelegenheit. Jährlich fährt sie Millionen-Defizite ein. Der Erlös aus dem Fahrscheinverkauf deckt den Betrieb mit allen Kosten für Gleisanlagen oder Oberleitungswartung nicht mal im Ansatz. Aber sie bringt den Pendler gemächlich und mit Aussicht ins Grüne ans Ziel.

Und überhaupt: Was scheren einen die Probleme, wenn der Straßenbahnfahrer sein rot-weißes Stahlgefährt auf der Duisburger Landstraße plötzlich abbremst, um das Seitenfenster seiner Fahrerkabine zu öffnen und in Richtung eines parkenden Mini-Cooper zu rufen, „vorne links könnte der mehr Luft gebrauchen“. Ach, wenn doch alles so einfach wäre im Personennahverkehr.

An der Stadtgrenze bitte umsteigen

In Gelsenkirchen-Horst müssen die Fahrgäste die Bahn wechseln, wenn sie von Essen nach Gelsenkirchen-Zentrum fahren wollen. Die Essener lassen die U 11 kurz hinter ihrer Stadtgrenze in Gelsenkirchen-Horst enden. Zugegeben, das ist einfach. Kompliziert ist es, wenn man dieses weiß: Die U 11 gehört zum Verkehrsverbund Via, für genehmigungspflichtige Planungen an den Oberleitungen sind auf Essener Stadtgebiet die Bezirksregierung Düsseldorf und bis Gelsenkirchen-Horst die Bezirksregierungen Arnsberg und Münster zuständig. Die Straßenbahn selbst gehört den Essener Verkehrsbetrieben. „Das Ruhrgebiet ist ein großer Städteschlauch. Die Zuständigkeiten ändern sich von Stadtgrenze zu Stadtgrenze. Das ist absurd“, sagt Nils Hoffmann, Sprecher der Via.

Zumindest im Kleinen will die Via Verkehrsgesellschaft mbH dem entgehen. Sie vereint die Verkehrsbetriebe der Städte Essen (EVAG), Mülheim (MVG) und Duisburg (DVG) unter einem Dach. „Dadurch sparen wir“, erklärt Hoffmann. Zum Beispiel durch Sammelbestellungen wie bei der Umstellung von analogem auf digitalen Funkverkehr. So belief sich die Ausschreibung auf ein Gesamtvolumen in Höhe von 34 statt 50 Millionen Euro. Weitere Vorteile: Weniger Fremdaufträge, verstärkte Ausbildung von zusätzlichen Fachkräften, Verschlankung der Führungsstrukturen.

Nahverkehr kostet immer mehr, als er einbringt

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Ist das ein Plädoyer für den Zusammenschluss aller 32 kommunalen Verkehrs- und fünf Eisenbahnverkehrsunternehmen, die unter dem Dach des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (VRR) lediglich eine einheitliche Tarifstruktur realisiert haben? „Das wäre eine politische Entscheidung. Aber wer an den großen Effekt glaubt, irrt. Nahverkehr kostet auf der ganzen Welt mehr als er einbringt“, stellt Nils Hoffmann fest. In Essen betrug das Defizit der EVAG im Jahre 2012 47 Mio. Euro und in Mülheim machte der Nahverkehr der MVG im vergangenen Jahr 29 Mio Euro Miese.

Dass der VRR mit seinen 37 Unternehmen und entsprechenden Gremien rund 300 Funktionäre unterhält – darüber denkt ein Fahrgast nicht nach. Oder vielleicht doch, wenn er abends nach 22 Uhr nach dem Kino ewig auf seine Straßenbahn warten muss. „Das nervt. Am Abend dünnt das Angebot deutlich aus. Da ist die Straßenbahn wirklich keine Konkurrenz zur Straße“, kritisiert Oliver Stieglitz vom Fahrgastverband Pro Bahn.

Wie lange klappt noch die Querfinanzierung?

Doch morgens im Tunnel in Mülheim ist die Bahn gut getaktet. Jetzt zieht sie das Tempo an. Die Oberlichter sind geöffnet, es geht ein erfrischendes Lüftchen. Ein kleiner Junge blickt neugierig aus dem Fenster. Die Welt ist in Ordnung. Oder?

„Lange geht das nicht mehr gut. Die Betriebe fahren Millionen Defizite ein“, sagt der frühere Chefplaner des Regionalverbands Ruhr, Thomas Rommelspacher. Er stellt den so genannten steuerlichen Querverbund in Frage. Denn dass Stadtwerke mit ihren Erträgen aus dem Verkauf von Energieleistungen die Defizite ihrer Verkehrsbetriebe auf ewig ausgleichen könnten, sieht er nicht. „Inzwischen müssen die Stadtwerke Schulden aufnehmen, um die Defizite auszugleichen. Man muss die Kleinstaaterei überdenken“, findet er.

Allerdings glaubt Rommelspacher nicht, dass die Kommunen einlenken. Jeder Betrieb sei ein kommunaler Arbeitgeber mit eigenem Vorstand und Aufsichtsrat – also mit lukrativen Posten für lokale Würdenträger. „Wer will so ein System schon abschaffen?“