Essen/Berlin.. Viele Hartz-IV-Bezieher wissen nichts vom Bildungspaket. In Brennpunkt-Kitas mit Kindern aus mehr als 60 Nationen „können viele Eltern nicht lesen und schreiben“, so die Sprecherin des Kita-Zweckverbandes. Nun will die Politik vor Ort werben.
Wie viel darf Nachhilfe kosten? Wo isst das bedürftige Kind zu Mittag, wenn Schule oder Kita kein warmes Essen anbieten? Und wer bezahlt das Fußballtrikot? Den Mitarbeitern im Duisburger Jobcenter fehlen eine Menge Informationen zum Bildungspaket für Kinder. Aber die Bewilligung ist ohnehin erst ein zweiter Schritt. Zunächst einmal geht es um die Anträge, und die stellt kaum jemand in der Stadt.
Dabei haben eine Menge Kinder Hilfe nötig. „31 000 könnten Leistungen beantragen“, sagt Stadtsprecherin Anja Huntgeburth gegenüber DerWesten. Bisher seien gerade einmal 300 Anträge auf Beihilfe zum Mittagessen, zu Musik- und Sportunterricht oder Nachhilfe eingegangen, also weniger als ein Prozent.
„Die Eltern wissen gar nicht, was möglich ist“
Der Frust der Stadtsprecherin ist groß. „Das Bildungspaket ist so eine gute Chance“, sagt sie. „Und wir haben doch das Klientel, dass diese Chance nutzen kann.“ Doch wer wisse schon davon? Schließlich seien weder Flyer gedruckt noch Informationskampagnen gestartet worden.
Dies beklagen auch die Verantwortlichen in den Kindertagesstätten. „Die Eltern wissen gar nicht, was möglich ist“, sagt Kristina Kähler, Sprecherin des Kita-Zweckverbandes, Träger der Tagesstätten im Bistum Essen. Gerade in den Brennpunkt-Kitas, wo mitunter mehr als 60 Nationen in einer Einrichtung zu Hause sind, „können viele Eltern gar nicht lesen und schreiben“. Nachrichten in Radio, Fernsehen oder Tagespresse kämen absolut nicht an. Manchen sei der Schritt auch einfach peinlich. „Die Kita-Leiterinnen hängen nun Plakate auf, erklären, was möglich ist und helfen, die Anträge auszufüllen.“
Diese Eigeninitiative ist auch in den Einrichtungen des bundesweit tätigen Kinderhilfswerks Arche an der Tagesordnung. Das ganze Verfahren sei viel zu kompliziert, sagt Sprecher Wolfgang Büscher. „Mitunter brauchen Mitarbeiter 90 Minuten, um mit dem Bedürftigen einen Antrag auszufüllen, bei dem es um zehn Euro Beihilfe für den Fußballverein geht.“ Um diese Zeit zu sparen, drücke der ein oder andere Mitarbeiter der Mutter oder dem Vater einfach einen Zehn-Euro-Schein in die Hand.
Dass die Leistung kaum nachgefragt wird, ist ein bundesweites Problem. „Das war vorhersehbar“, sagt Heinz Hilgers, Präsident des deutschen Kinderschutzbundes. „Ich weiß gar nicht, warum Ursula von der Leyen jetzt verwundert ist.“ Schließlich sei sie gewarnt worden vor der abschreckenden Wirkung der Bürokratie und dem komplizierten Antragsverfahren mit Bewilligung, bei dem nach „guter deutscher Manier“ natürlich auch ein Widerspruch möglich sei.
Ministerin hält Kopf hin
Ist von der Leyen nun verantwortlich für den Stolperstart? Immerhin ist das Bildungspaket ihr Prestigeprojekt. Sie steht im Fokus. Die Ironie: Sie wollte, dass das Hilfspaket von der Agentur für Arbeit umgesetzt und über den Bund abgewickelt wird. In den Verhandlungen hatten die SPD und die Länder ihr abgetrotzt, dass die Kommunen das Paket abwickeln. Nun hält sie den Kopf hin, obwohl sie gar nicht für die Umsetzung verantwortlich ist. Bund-Länder-Koordinatorin ist eigentlich Niedersachsens Sozialministerin Aygül Özkan (CDU). Doch mit der Runde am Donnerstag will von der Leyen die Manöverkritik endgültig auf die politische Ebene heben.
„Knochenarbeit“
Dabei will die Ministerin darüber diskutieren, ob man vor Ort stärker werben muss; ob sich auch genug Leute kümmern. „Knochenarbeit“ sagt die Ministerin dazu. Im Klartext: Wann werden die Kommunen die Probleme gelöst haben? Es wird schon erörtert, allen berechtigten Familien die Informationen per Post nach Hause zu schicken.
Was sagt die SPD? Die Sozialdemokraten fühlen sich angesichts des Durcheinanders bestätigt. „Es wäre besser gewesen, das Geld direkt in Kitas, Schulen und Vereine zu investieren“, meint SPD-Vizechefin Manuela Schwesig. In den Verhandlungen hatte sich von der Leyen aber mit ihrer Position durchgesetzt, einzelne Sachleistungen zu gewähren, damit das Geld nicht einfach in den Institutionen versickert. Schwesig gibt außerdem zu bedenken, dass die Kommunen kaum Zeit zur Vorbereitung gehabt hätten.