Berlin.. Auch in der Politik beginnen am Freitag die Sommerferien. Ein guter Tag, um der Bundeskanzlerin und ihrer Regierung ein Zeugnis auszustellen. Über die Versetzung entscheiden schon in zwei Monaten die Wähler. Einige Minister aus Merkels Team müssen vor diesem Tag zittern.
Am Freitag ist Zeugnistag in Nordrhein-Westfalen - und Zeugnistag auch für die Bundesregierung. Mit einer großen Pressekonferenz in Berlin verabschiedet sich Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitagvormittag in den Sommerurlaub. Zwei Auftritte absolviert sie noch bei einer CDU-Bädertour an Nord- und Ostsee, dann geht es in die Ferien - wenn Merkel Mitte August wiederkommt, fängt der Bundestagswahlkampf richtig an.
Der richtige Zeitpunkt, um Bilanz zu ziehen: Wie haben sich Merkel und ihre 15 Kabinettsmitglieder in den vergangenen Jahren geschlagen? Wer könnte bei einem schwarz-gelben Wahlsieg weitermachen, wer wird auf jeden Fall abgelöst? Julia Emmrich, Daniel Freudenreich, Christian Kerl und Miguel Sanches haben die Regierung einem Leistungscheck unterzogen.
Angela Merkel (CDU)
Gibt es ein großes Erfolgsprojekt, das sich mit dem Namen Angela Merkel verbindet? Ihre Kanzlerschaft mutet auch im siebten Jahr unvollendet an. Alles ist im Fluss, die Euro-Krise, die Energiewende. Sie ist nervenstark, hat immer die Ruhe bewahrt, jäh und unvermittelt blitzt Härte auf. Rabiat hat sie ihren Umweltminister entsorgt, die Energiewende kam per Ordre de Mufti, pardon: Ordre de Kanzlerin.
Die Konjunkturdaten hübschen ihre Bilanz auf. Ihre Haltung der Euro-Krise wird von den Wählern geschätzt: Sie hilft - aber nur unter Bedingungen. In den Krisenstaaten mahnt sie Reformen an, die sie daheim nicht durchsetzen musste. Angela Merkel profitiert von der „Agenda 2010“ ihres Vorgängers.
Sie beherrscht ihre Aufgaben, neigt aber zum Aufschieben und abrupten Kurswechseln. Insgesamt gute Leistung.
Note: 2+
Philipp Rösler (FDP)
Ein Minister mit Steherqualitäten. Wollte als Vizekanzler unbedingt das Gesundheitsministerium verlassen und verdrängte Rainer Brüderle von dessen Traumposten im Wirtschaftsressort. Rösler kämpfte lange um sein politisches Überleben. Fleißig, präsent und anpackend bei tagesaktuellen Themen, hat den Stromnetzausbau beschleunigt, im Steuerrecht Bürokratie abgebaut. Hat aber keine großen Reformen initiiert. Kam sich regelmäßig mit Umweltminister Altmaier ins Gehege, etwa bei der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes.
Rösler sollte mehr Schwerpunkte setzen, wird aber weitermachen können.
Note: 3-
Wolfgang Schäuble (CDU)
Der Finanzminister ist eine der tragenden Säulen der Regierung, seine gute Bilanz verdankt der alte Fuchs aber auch den glücklichen Umständen: Neuverschuldung stark zurückgefahren, Haushalt fast ausgeglichen - das gelang dank guter Konjunktur, ursprüngliche Einsparziele hat Schäuble dagegen verfehlt. Die angekündigte Steuerentlastung blieb aus, auch die Reform des Mehrwertsteuersystems. Vor allem als Euro-Krisenmanager bewährt, auch mit 70 Jahren nicht amtsmüde.
Könnte mit mehr Ehrgeiz noch bessere Leistung zeigen.
Note: 2
Guido Westerwelle (FDP)
Alle seiner Vorgänger waren beliebter als er. Aber der Wind drehte sich, seit Guido Westerwelle vor zwei Jahren den FDP-Vorsitz aufgab. Westerwelle konzentrierte sich fortan ganz auf das Auswärtige Amt. Nach Patzern nimmt man ihm nun den Chefdiplomaten ab. Er ist angekommen, hat sich weltweit seine Netzwerke aufgebaut. Seine Themen: Die neuen Kraftzentren Afrika, Asien, Südamerika. Sein Nein zu einem Militäreinsatz in Libyen hat ihm nicht geschadet. Westerwelle und Merkel sind sehr nahe beieinander.
Hat mit Fleiß frühere Schwächen überwunden, könnte aber mehr Initiative zeigen.
Note: 3
Hans-Peter Friedrich (CSU)
Die innere Sicherheit war für ihn fremde Materie. Hans-Peter Friedrich sprang ein, als ihn seine Partei rief. Die Herausforderung seiner Amtszeit: die NSU-Mordserie. Der Innenminister stellte den Verfassungsschutz neu auf und verbesserte die Zusammenarbeit mit der Polizei. Mit den Ländern ging der CSU-Mann nicht zimperlich um. Beim Thema NPD-Verbot eierte er herum. Mit dem Islam-Dialog fremdelt er. In der Spähaffäre um die NSA macht er keine glückliche Figur. Seine Bilanz ist besser als sein Ruf.
Engagement lässt zu wünschen übrig.
Note: 4+
Thomas de Maiziere (CDU)
Als er Verteidigungsminister wurde, waren einige Messen schon gelesen. Die Strukturreform der Bundeswehr - aufs Gleis geschoben. Der Abzug aus Afghanistan - faktisch entschieden. Thomas de Maizière hat mit einer Veteranen-Debatte versucht, eigene Akzente zu setzen - ohne nachhaltige Wirkung. Der Beschaffungsskandal um die Drohne „Euro-Hawk“ verfolgt ihn bis heute. Es zeigt sich einmal mehr: Das Verteidigungsministerium ist ein Schleudersitz. Trägt es ihn - selbst bei einer Wiederwahl - davon?
Starker Leistungseinbruch, ohne Besserung Versetzung gefährdet.
Note: 4-
Ursula von der Leyen (CDU)
Die Bilanz der Arbeitsministerin ist durchwachsen. Sie ist eine gute Politikverkäuferin, aber ihre Großprojekte missglückten. Die Rentenreform gegen Altersarmut ist gescheitert. Hat ohne größere Konflikte Milliardeneinsparungen im Arbeitsressort durchgesetzt, kämpft engagiert gegen Fachkräftemangel. Bleibt Aktivposten im Kabinett, weil sie die Angriffsflächen für die Opposition in der Sozialpolitik klein hält. Alleingänge haben ihren Nimbus als Reservekanzlerin beschädigt.
Sehr ehrgeizig, aber nachlässig bei ihren Hausaufgaben.
Note: 3-
Daniel Bahr (FDP)
Jüngster Mann im Kabinett, Gesundheitsminister. Hat die zweifelhafte Ehre, dass eine Versicherung nach ihm benannt wurde, „der Pflege-Bahr“. Hat Demenzkranke besser versorgt, doch die grundlegende Reform der Pflegeversicherung steht aus. Konnte in vergleichsweise komfortablen Zeiten agieren, da Krankenkassen dicke Überschüsse machen. Kämpfte gegen Manipulation bei Organspende und mit dem Landarztgesetz gegen Ärztemangel, konnte den klammen Kliniken eine Milliardenspritze setzen, stärkte den Präventionsgedanken und schaffte die Praxisgebühr ab.
Ist engagiert, fachlich unumstritten, muss nun aber Großbaustellen wie die Pflegereform angehen.
Note: 3+
Peter Altmaier (CDU)
Twitter-Fan, wandelnder Vermittlungsausschuss. Hat der Energiewende etwas mehr Schwung eingehaucht. Größter Erfolg des 55-jährigen Saarländers und Umweltministers: Hat den Endlagerkonsens eingeleitet - ein historischer Schritt. Ebenfalls auf der Habenseite stehen die Lex Asse und die Deckelung der Solarförderung. Der Umweltminister ist aber mit der Strompreisbremse auf die Nase gefallen. Auch die Wertstofftonne kommt nicht. Altmaier reibt sich regelmäßig an Wirtschaftsminister Rösler auf: siehe Zertifikatehandel.
Hat die Energiewende vorangetrieben - im Bereich des Möglichen.
Note: 3-
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP)
Sie hat als Justizministerin fleißig daran gearbeitet, als Anwältin für die Bürgerrechte das liberale Profil im Kabinett zu stärken - zum Ärger der Union setzt die Justizministerin aber etwas zu oft auf Blockade. Sie hat bislang mit zähem Widerstand die Vorratsdatenspeicherung verhindert, eine Überprüfung aller Anti-Terror-Gesetze erreicht, Netzsperren im Internet verhindert. Mehrere Reformen - etwa zum Sorgerecht - haben das Familienrecht modernisiert. Ihre öffentliche Wirkung bleibt aber begrenzt, in der aktuellen Ausspähaffäre etwa verhallen ihre Proteste.
Hat mit Engagement ihre Aufgaben erfüllt, könnte aber bei Konflikten konstruktiver sein.
Note: 3+
Johanna Wanka (CDU)
Mathe-Professorin, Ex-Ministerin in Ost- und Westdeutschland. Musste im Bildungsressort als Notnagel einspringen, hatte kaum Zeit, sich zu profilieren, sitzt in einem schwachen Ministerium, weil Bildung weitgehend Ländersache ist. Die 62-Jährige hat sich mit den Ländern auf die Weiterführung des Hochschul-pakts und die Qualitätsoffensive Lehrerbildung verständigt. Aus der Bafög-Reform wurde nichts. Ebenso wenig aus der Grundgesetzänderung, damit der Bund Verantwortung für die Hochschulen bekommt.
Engagiert, für eine Bewertung eigentlich zu kurz im Amt. Darf wohl weitermachen.
Note: 3
Ilse Aigner (CSU)
Die Verbraucher- und Landwirtschaftsministerin äußerte sich zu vielen Themen und machte viele Ankündigungen, nicht alles hat sie auch umgesetzt. Aigners Ressort erlaubt selten glänzende Erfolge - die Agrarpolitik wird vor allem in der EU gemacht, beim Verbraucherschutz ist sie nicht allein zuständig. Sie hat diese Tücken aber geschickt überspielt, sorgte unter anderem für mehr Transparenz und Information im Lebensmittelbereich
Als Krisenmanagerin bewährt, Einsatz für den Datenschutz im Internet. Wechselt in die bayerische Landespolitik - als Seehofers „Kronprinzessin“.
Verspricht zu viel, aber löst Aufgaben zum Teil sehr geschickt.
Note: 3
Peter Ramsauer (CSU)
Der Verkehrsminister bemüht sich um Volksnähe wie kaum ein anderes Kabinettsmitglied, manche Idee wie sein Baustellenmelder entpuppte sich später als heiße Luft. Erfolg unter anderem mit der Flensburger-Punkte-Reform. Kämpft lautstark, aber vergeblich für die Pkw-Maut, weil ihm das Geld für Verkehrsprojekte fehlt. Eine strategische Linie in der Verkehrspolitik blieb Ramsauer schuldig. Rascher Einsatz gegen studentische Wohnungsnot, aber das Thema Mietpreisexplosion hat der CSU-Politiker zu lange ignoriert.
Fleiß und Interesse lassen zu wünschen übrig.
Note: 4
Dirk Niebel (FDP)
Bekam das Entwicklungs-Ministerium, das seine Partei abschaffen wollte. Überraschte mit Fleiß und Sachkunde, aber auch mit umstrittenen Auftritten mit Feldjäger-Mütze. Größter Erfolg: Die Zusammenlegung der drei staatlichen Entwicklungshilfeorganisationen zur GIZ. Konnte sein Budget aber nicht auf die international zugesagte Höhe schrauben. Angespanntes Verhältnis zu Nichtregierungsorganisationen. Erntete Kritik für die Besetzung von Ministeriumsposten mit FDP-Leuten. Stolperte fast über einen Teppich aus Afghanistan, den er nicht verzollte.
Hat mehr erreicht als gedacht. Bleibt dennoch sitzen, da er Parteichef Rösler in den Rücken gefallen ist.
Note: 3-
Ronald Pofalla (CDU
Er ist der Kanzleramtsminister, ein Maschinist der Machtzentrale. Hat mitunter Probleme in der stillen Diplomatie. Polterte gegen den Fraktionskollegen Wolfgang Bosbach: „Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen.“ Soll für einen reibungslosen Regierungsablauf sorgen, daran hakte es vor allem in der ersten Hälfte der Legislatur. Steht nun mit der US-Datensammelaffäre vor seiner wohl größten Herausforderung. Was wusste die Bundesregierung davon? Heikles Thema im Wahlkampf. Soll Schaden von der Kanzlerin und der Union abwenden.
Muss sich jetzt am Riemen reißen.
Note: 3 -
Kristina Schröder (CDU)
Die Familienministerin hat viel gewagt: Die 35-Jährige war die erste Bundesministerin, die im Amt ein Kind bekommen hat. Sie war auch die erste Frauenministerin, die ein Wutbuch gegen den Feminismus geschrieben hat (“Danke, emanzipiert sind wir selber!“) - was nahezu alle engagierten Frauen des Landes auf die Palme brachte. Im politischen Geschäft aber blieb Schröders Profil unscharf. Sie war kein Fan des Betreuungsgelds, aber aus Loyalität zur Kanzlerin argumentierte sie tapfer dafür. Sie erfand die „Flexiquote“ und musste zusehen, wie ihre Rivalin Ursula von der Leyen die feste Quote ins Wahlprogramm hievte. Es heißt, sie will nach der Wahl nicht wieder Ministerin sein. Verständlich. (jule)
Wurde den Anforderungen nicht gerecht, wird nicht versetzt.