Düsseldorf. Nach der Pleite vor dem Verfassungsgericht muss Rot-Grün über Nacht Förderbescheide, Einstellungen oder Beförderungen stoppen. Auch Landesbetriebe wie Straßen.NRW sind betroffen. Verkehrsminister Groschek will trotzdem weiterbauen lassen, wenn dadurch Mehrkosten vermieden werden.

Die schwere Niederlage der rot-grünen Landesregierung vor dem NRW-Verfassungsgerichtshof hat offenbar Folgen für zahlreiche Kulturschaffende, Lehrer, Vereine, Verbände und Förderprojekte. Das ergibt sich aus der Haushaltssperre, die NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) unmittelbar nach dem Urteil zum Besoldungsgesetz verhängt hat.

Rund 226.000 höhere Landesbeamte bekommen voraussichtlich rückwirkend einen Gehaltszuschlag. Nach ersten Schätzungen rechnet die Landesregierung mit zusätzlichen Personalkosten in dreistelliger Millionenhöhe. Deshalb müssten die übrigen Ausgaben „auf ein zwingend notwendiges Maß beschränkt“ werden, sagte Walter-Borjans. Alle Zahlungen, zu denen das Land nicht gesetzlich oder vertraglich verpflichtet ist, sind gestoppt.

Nach Angaben des Finanzministeriums dürfen etwa im Kulturbereich keine neuen Förderzusagen mehr gemacht werden. Auch die Landesbetriebe wie Straßen NRW sollen nur noch begonnene und vertraglich vereinbarte Baumaßnahmen weiterführen. Bauminister Michael Groschek (SPD) will jedoch überall dort Ausnahmen erwirken, wo eine Verzögerung von Reparaturmaßnahmen die Schadenssumme nur erhöhen würde. „Alles andere wäre kontraproduktiv“, sagte Groschek.

Keine Beförderungen auf Schulleiterstellen

An Schulen werden ab sofort keine Beförderungen auf Schulleiterstellen mehr genehmigt. Die Neubesetzung von 3000 frei werdenden Lehrerstellen bleibt dagegen gesichert. In der Kernverwaltung des Landes dürfen ab sofort keine Gutachten mehr in Auftrag gegeben, Beförderungen bewilligt oder Büromöbel bestellt werden. Der zugesagte Hilfsfonds für die Folgen des Pfingst-Sturms bleibt nach Aussage von Innenminister Ralf Jäger (SPD) von den Sparmaßnahmen unberührt.

Es ist die erste Haushaltssperre des Landes seit neun Jahren. Parallel arbeitet Rot-Grün an einer Neuregelung der Beamtenbesoldung. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) kündigte einen Gesetzentwurf nach der Sommerpause an.

Für die unteren Besoldungsgruppen solle es bei der vorgesehenen Erhöhung um insgesamt 5,6 Prozent für die Jahre 2013 und 2014 bleiben, versprach sie. Mit welchen Gehaltszuschlägen die höheren Beamten rechnen können, die verfassungswidrig mit zwei Prozent Gehaltsplus oder Nullrunden bedacht worden waren, blieb zunächst unklar.

Wen die Haushaltssperre der Regierung trifft

Nach der Pleite vor dem NRW-Verfassungsgericht muss die rot-grüne Landesregierung rund 226.000 Beamten nachträglich für zwei Jahre Gehaltszuschläge gewähren. Da dies den Landesetat mit einer gewaltigen dreistelligen Millionensumme belasten dürfte, hat Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) umgehend eine Haushaltssperre verhängt. Dieser Ausgabenstopp wirft viele Fragen auf:

Was bedeutet die Haushaltssperre des Landes?

Der Finanzminister hat alle freiwilligen Ausgaben des Landes mit sofortiger Wirkung gesperrt. Als „freiwillig“ bezeichnet man Zahlungen, zu denen das Land nicht durch Verträge oder Gesetze (wie bei Gehältern, Sozialleistungen oder Zuweisungen an Kommunen) zwingend verpflichtet ist.

Gibt es Ausnahmen?

Das Land will trotz der Haushaltssperre 3000 frei werdende Lehrerstellen neu besetzen. 1400 Anwärter auf eine Stelle im Öffentlichen Dienst sollen übernommen werden. Auch bei Polizei, Justiz und Finanzverwaltung sollen Neueinstellungen möglich bleiben.

Begonnene Baumaßnahmen werden weitergeführt. Die Co-Finanzierung bei Projekten, die von EU oder Bund mitgefördert werden, ist ebenfalls gesichert. Bereits bewilligte Bescheide werden nicht in Frage gestellt.

Wo ist die Haushaltssperre zu spüren?

Das Land kann grundsätzlich keine neuen Förderzusagen mehr machen oder finanzwirksame Entscheidungen treffen. Größere politische Vorhaben wie der Hilfsfonds für die Folgen des Unwetters „Ela“ sind davon nicht betroffen, weil er von der Landesregierung als Ausnahme angesehen wird und vom Landtag als Gesetzgeber beschlossen werden soll.

Viele kleinere Förderentscheidungen etwa im Bereich Bau, Wohnen, Verkehr, Sport oder Soziales liegen dagegen auf Eis. Innerhalb des öffentlichen Dienstes gilt ab sofort einen Beförderungsstopp etwa bei Schulleiterstellen.

Löst die Haushaltssperre die rot-grünen Finanzprobleme?

Nein. Experten schätzen, dass durch den Ausgabenstopp im Haushaltsvollzug maximal 100 Millionen Euro gespart werden können. Allein das Beamtenurteil kostet Rot-Grün in diesem Jahr aber einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag.

Zudem entwickeln sich die Steuereinnahmen nicht nach Wunsch. NRW kassierte gegenüber 2013 im ersten Halbjahr nur ein Steuerplus von 0,9 Prozent, einkalkuliert sind aufs ganze Jahr rund 5 Prozent.

Wenn es so weiter geht, könnten laut CDU-Finanzexperte Marcus Optendrenk am Ende des Jahres 1,8 Milliarden Euro fehlen. Zudem hat Rot-Grün pauschal 800 Millionen Euro Minderausgaben und 300 Millionen Euro Mehreinnahmen eingeplant, die noch nicht erwirtschaftet sind.

Was geschieht nun mit der Beamtenbesoldung?

Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hat klargestellt, dass alle Staatsdiener der Besoldungsstufen bis A10 die Einkommenserhöhung von 5,6 Prozent für die Jahre 2013 und 2014 behalten dürfen. Für die Besoldungsstufen A11 und A12, die nur zwei Prozent erhielten, muss ebenso nachgebessert werden wie für die Nullrunden ab A13.

Die Gewerkschaften fordern 5,6 Prozent für alle, die Landesregierung will einen „gleitenden“ Anstieg, den das Verfassungsgericht für machbar erklärt hatte. Die Verhandlungen sollen nach den Sommerferien beginnen, das Gesetz bis Ende des Jahres stehen. Die Beamten können dann mit Nachzahlungen für zwei Jahre rechnen.

Will die Landesregierung noch mehr Schulden machen?

Eine Erhöhung der Neuverschuldung in diesem Jahr scheint unausweichlich. Dabei plant NRW trotz Rekordeinnahmen und Niedrigzinsen ohnehin schon mit neuen Krediten über 2,4 Milliarden Euro. Finanzminister Walter-Borjans deutete an, nicht ausgeschöpfte Kreditermächtigungen aus den Vorjahren für seine unerwarteten Mehrausgaben nutzen zu wollen.

Ministerpräsidentin Kraft sieht offenbar keine Möglichkeiten zum beherzten Personalabbau im Öffentlichen Dienst, der mehr als 40 Prozent des Landesetats verschlingt: Wenn man Polizei, Justiz, Schule und Finanzverwaltung ausklammere, blieben in der allgemeinen Verwaltung gerade einmal 30.686 Stellen, so Kraft. FDP-Chef Christian Lindner fürchtet im Umkehrschluss eine „rot-grüne Steuererhöhungsorgie“ und warnt vor einem weiteren Heraufsetzen der Grunderwerbsteuer.