Essen.. Der NRW-Innenminister will zukünftig mit reduziertem Polizeiaufgebot bei Fußballspielen arbeiten: An Rhein und Ruhr wird Polizei nicht mehr bei allen Spielen dabei sein. Bis Ende September will er das neue Konzept an vier Spieltagen im Land erproben.

Die Polizei in NRW setzt die Fußballvereine unter Druck, in den Stadien selbst für mehr ­Sicherheit zu sorgen. Sie wird die Präsenz bei den Spielen der Bundesliga-Saison 2014/15 deutlich verringern. Das gilt in Arenen ­genau so wie auf Wegen dorthin.

Auch Begegnungen ohne jeden Polizeieinsatz sind künftig möglich. Fan-Transporte in kommunalen öffentlichen Verkehrs­mitteln („Shuttles“) werden weitgehend nicht mehr unter Polizeischutz stehen. Die Gewerkschaft der Polizei zeigte sich in ersten Reaktionen empört.

Landesinnenminister Ralf ­Jäger (SPD) hat mit dem neuen Einsatzkonzept überrascht. Die NRW-Polizei soll es an vier Spieltagen bis zum 27. September erproben, bevor es Dauerregel wird. Jäger versichert: Risikospiele, bei denen massive ­Gewalt droht, sollen von Reduzierungen ausgespart werden.

Vereine kümmern sich angeblich zu wenig um gewaltbereite Fans

Offiziell begründet der Minister die Reduzierungen mit einem „optimierten Kräfteeinsatz“. Mit Köln und Paderborn spielen jetzt zwei NRW-Vereine mehr in der ersten Liga. Schon heute sei ein Drittel der Einsatzhundert­schaften im Fußball-Dienst tätig. ­„Machen wir weiter so wie bisher, würde sich das nochmal deutlich erhöhen. Das kann ich dem Steuerzahler nicht vermitteln“.

Aus dem Konzept geht aber auch hervor, dass Jäger unzufrieden ist mit den Bemühungen der Clubs, das Hooligan-Problem in den Griff zu bekommen. „Einige der Partner“ – gemeint: Vereine und Fans – „kommen ihrer ­Verantwortung noch nicht voll­umfänglich nach“.

Polizeigewerkschafter ist entsetzt

Während sich die Vereine mit Reaktionen zurückhalten und die Deutsche Fußball-Liga Jägers ­Erlass laut Präsident Reinhard Rauball für „im Grundsatz durchaus nachvollziehbar“ erachtet, ist die Gewerkschaft der Polizei (GdP) entsetzt.

NRW-Landeschef Arnold Plickert sagte der WAZ: „Wir haben in NRW zwischen 1500 und 1800 Gewaltbereite. Wenn wir uns in die Hinterhöfe zurückziehen, zerlegen die uns die Straße. Wir brauchen die Manndeckung“. Mit Sorgen sieht er die Absicht, Fan-Shuttles nicht mehr zu begleiten. „Für die ­Verhinderung von Straftaten ist die Polizei zuständig“.

Kritik übt auch der Chef des ­Innenausschusses im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU): „Problemfans, insbesondere die Gewaltbereiten, werden über diese Pläne ganz gewiss nicht traurig sein“, sagte er unserer Zeitung. Misslinge das NRW-Experiment, sei Jäger verantwortlich.

Jäger erntet massive Kritik für seine Pläne

„1-2-3- Schlägerei“. Samstagabend war es wie oft. 90 vermummte Hooligans lieferten sich mitten in der Essener City eine Massenprügelei. Drei Polizisten und zwei Gewalttäter wurden verletzt. Da war dem nordrhein-west­fälischen Innenminister Ralf Jäger (SPD) längst der Kragen geplatzt. Sein Konzept für den künftigen Polizeieinsatz bei Fußballspielen liegt seit dem 31. Juli vor.

Es gilt ab sofort – zum Test für vier Spieltage. Der Kern: ein Teilrückzug der Hundertschaften, begründet mit den zahlenmäßig höheren Anforderungen durch zwei weitere NRW-Bundesligaclubs.

„Nicht den Bremer Weg“

NRW wird die Vereine für den Mehreinsatz nicht zur Kasse ­bitten. „Ich halte den Bremer Weg für falsch“, sagt Jäger klar. Aber er dreht an der Leistungsschraube: An Rhein und Ruhr wird Polizei nicht mehr bei allen Spielen dabei sein. Sie wird sich nicht mehr so präsent im Straßenbild zeigen wie bisher. Sie wird nur noch wenige Fan-Transporte, wenn überhaupt, begleiten.

Vor allem: Die Einsatzplanung erfolgt künftig stringenter vom Landesamt für Polizeiliche Dienste (LZPD) aus und wird nicht mehr vor Ort geregelt. So interpretiert jedenfalls die Gewerkschaft der Polizei (GdP) den Erlass. Ihr Landeschef Arnold Plickert verweist auf den Auftrag, wie er dort formuliert ist: Das Duisburger Amt prüfe „die Zuweisung von Kräften aus Anlass von Fußballspielen ­kritisch und mit engem Maßstab“.

„Mit Beginn der Spielsaison 2014/15 möchte die Polizei NRW ein Signal setzen und die Eigen­verantwortung der fußballbe­geisterten Fans, der Vereine und Netzwerkpartner stärken“, betont das Innenministerium in einer „Botschaft“ an alle Beteiligten.

„Manndeckung“ auch in den Stadien nötig

Eigenverantwortung? Plickert befürchtet das Schlimmste: „Wir sind das Fußball-Land Nr. 1. Für 99,6 Prozent aller Fans brauchen wir keine Polizei. Die wollen ihr Bier trinken und Bratwurst essen. Aber wir haben in NRW zwischen 1500 und 1800 Gewaltbereite. Die reden gar nicht mit uns. Mit denen kann man auch nicht reden“.

In Köln habe es fast den „ersten Toten“ gegeben. „Manndeckung“ sei nötig, sagt der ehemalige Einsatzleiter einer Hundertschaft – auch in Stadien: „Zwei bis drei Schiedsrichterpfiffe“ reichten oft, damit Fans losprügelten.

Besonders kritisch sieht Plickert, der auch um die ausreichende ­Sicherheit einer reduzierten Polizeitruppe bangt, den Ausstieg der NRW-Polizei bei der Shuttle- ­Begleitung, die heute wie in Gelsenkirchen vom und zum Hauptbahnhof teils mit Polizeifahr­zeugen, aber auch durch Beamte in Bahnen und Bussen erfolgt. Ohne Begleitung könne es schnell „zu Notbremsungen“, zur Randale kommen.

Fan-Übergabe an den Bahnhöfen

Genau das fürchtet auch Wolfgang Bosbach (CDU). Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses nennt „die Bahnhöfe“ als „wichtige Schnittstelle“ – dort, wo die Bundespolizei, die die Auswärts-Fans in den anreisenden ­Zügen begleitet hat, die Verantwortung an die Landespolizeien übergeben muss. Was ist, wenn das nicht mehr geht?

Die Pläne, warnt Bosbach den Kollegen in Düsseldorf, seien problematisch für die Allgemeinheit. Es gehe ja nicht nur um die Fans, es ­gehe auch um „den Schutz für ­unbeteiligte Dritte“. Jäger trage die Verantwortung, „wenn wegen mangelnder Polizeipräsenz an Gefahrenschwerpunkten die Sicherheit der Allgemeinheit gefährdet wird“.