Würzburg/Berlin. Erstmals muss sich Facebook vor einem deutschen Gericht verantworten: Worum es bei der Klage des Flüchtlings vom Merkel-Selfie geht.


Ein syrischer Flüchtling klagt gegen Facebook. Er will, dass das Online-Netzwerk alle geteilten Beiträge, in denen er verleumdet wurde, findet und löscht. Der Fall könnte wichtige Weichen für die Zukunft stellen. Von 15 Uhr an wird verhandelt.


Was war der Auslöser des Verfahrens?

Der syrische Flüchtling Anas Modamani wurde in mehreren Facebook-Beiträgen verleumdet: So hieß es, er habe einen Obdachlosen in Berlin angezündet, zudem wurde er mit den Terroranschlägen in Brüssel und auf den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz in Verbindung gebracht.

Den Leuten, die die Bilder erstellt hatten und teilten, ging es vor allem darum, Bundeskanzlerin Angela Merkel zu treffen: Zu sehen war in den Postings ein Selfie, das Modamani mit ihr gemacht hatte. Dazu stand dort Text der Art „Merkel machte ein Selfie mit dem Täter“. Die Beiträge wurden Hunderte Mal bei Facebook geteilt und tauchen immer noch auf.


Wer ist Anas Modamani?

Der heute 19-jährige Modamani kam im Sommer 2015 aus Syrien nach Deutschland – und lebte in einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Spandau, wo bei einem Merkel-Besuch am 10. September 2015 das Foto entstand. Sein Bild und die von Agenturfotografen festgehalten Szenerie verbreitete sich bald, Modamani wurde auch in die ZDF-Talkshow Maybrit Illner eingeladen.

Er lebt heute bei einer Gastfamilie in Berlin, Gastmutter Anke Meeuw spricht in höchsten Tönen von ihm. Modamani spricht inzwischen gut deutsch, will das für ein Studium weiter ausbauen und arbeitet in einem Fast-Food-Restaurant.


Warum zog Anas Modamani vor Gericht?

Spontane Aktion mit Folgen: Am 10. September 2015 machte Anas Modamani ein Foto mit Merkel. Das Motiv ging um die Welt – und verfolgt den jungen Syrer. Um Merkel zu schaden nutzen Rechtspopulisten und Nazis das Foto regelmäßig und unterstellen dem Teenager schwere Verbrechen.
Spontane Aktion mit Folgen: Am 10. September 2015 machte Anas Modamani ein Foto mit Merkel. Das Motiv ging um die Welt – und verfolgt den jungen Syrer. Um Merkel zu schaden nutzen Rechtspopulisten und Nazis das Foto regelmäßig und unterstellen dem Teenager schwere Verbrechen. © REUTERS | © Fabrizio Bensch / Reuters


Er will nicht weiterhin und immer wieder als vermeintlicher Terrorist und Gewalttäter dargestellt werden. Er will mit seinem in dem Thema sehr aktiven Anwalt Chan-jo Jun erreichen, dass Facebook nicht nur die beiden verunglimpfenden Ausgangs-Beiträge löscht, sondern auch verpflichtet wird, alle Posts, in denen die falschen Aussagen weiterverbreitet („geteilt“) wurden, zu entfernen. Nach derzeitiger Praxis von Facebook muss ein Nutzer jeden Beitrag, in dem er seine Persönlichkeitsrechte verletzt sieht, einzeln selbst an das Online-Netzwerk melden. Am Montag geht es zunächst um eine einstweilige Verfügung als Sofortmaßnahme.


Geht es in dem Prozess um „Fake News“ – oder eigentlich um etwas anderes?

Falschmeldungen, nämlich die unwahren Behauptungen über Anas M., sind Auslöser für den Prozess. Im Kern geht es aber um die grundsätzliche Frage, inwieweit ein Online-Netzwerk sich selbst auf die Suche nach rechtswidrigen und damit zu löschenden Informationen in seinen Systemen machen muss. Anwalt Jun sagt, Facebook sei kein neutraler Speicherdienst, sondern erzeuge eigene Daten und bestimmt die Inhalte über redaktionelle Standards und Algorithmen. „Dadurch entsteht eine Haftung für eigene Inhalte“, so Jun.

Bei Facebooks Verantwortung könne es um alle Arten rechtswidriger Beiträge gehen – vom verletzten Urheberrecht an Bildern bis zur Volksverhetzung. Die für das Verfahren gemeldeten Ausgangs-Posts mit dem Bild des Flüchtlings wurden von Facebook zwischenzeitlich gelöscht, weil sie Persönlichkeitsrechte verletzen, nicht allein, weil sie falsche Informationen enthielten.


Wie viel hat der Prozess dann mit der politischen Debatte um „Fake News“ zu tun?

Nicht so viel. Denn Persönlichkeitsrechte zu verletzen – online wie offline –, ist nach der derzeitigen Rechtslage schon nicht erlaubt. Politische Vorstöße, die „Fake News“ in sozialen Netzwerken verbieten wollen, zielen in eine andere Richtung: Dort geht es darum, Beiträge schon deshalb zu löschen, weil sie nicht der Wahrheit entsprechen.

Der Prozess könnte aber auch auf diese Debatte Einfluss haben, weil er zeigen könnte, zu was Facebook nach derzeitiger Rechtslage schon verpflichtet werden kann. Außerdem legt er ein Problem von Facebook im Umgang mit „Fake News“ offen: Facebook verspricht einen einfacheren Meldeprozess – für Bilder gibt es den aber absehbar nicht.


Löscht Facebook die Bilder?

Die Bilder, die der Anwalt für den Prozess mit genauer URL-Adresse gemeldet hat, sind gelöscht. Doch seither hochgeladene Bilder, die Nutzer an Facebook gemeldet haben, hat das Unternehmen zumindest in vielen Fällen nicht gelöscht. Es erklärt dann, die Bilder würden nicht gegen die „Community-Standards“ verstoßen.


Kann Facebook automatisch Bilder erkennen und löschen?

Rechtsanwalt Chan-jo Jun hat für den Syrer Anas Modamani die Klage gegen Facebook eingereicht.
Rechtsanwalt Chan-jo Jun hat für den Syrer Anas Modamani die Klage gegen Facebook eingereicht. © Jun Rechtsanwälte | Jun Rechtsanwälte


Facebook setzt seit Jahren Microsofts Technik PhotoDNA ein, die aber lediglich für die automatische Erkennung kinderpornografischer Inhalte vorgesehen ist. Es gibt auch andere Software, die Fotos erkennen kann. Facebook ermöglicht es außerdem, dass Blinde Beschreibungen von Fotos erhalten. Gegenüber Medien erklärte Facebook im Vorfeld des Prozesses, wegen des Datenschutzes in Europa keine Gesichtserkennung einsetzen zu dürfen. Allerdings wäre Gesichtserkennung nicht nötig, um Fotos einen Fingerabdruck zu geben, der sie auch bei anderem Ausschnitt und anderen Farbwerten wiederkennbar macht. Es ist unklar, wie Facebook beispielsweise gearbeitet hat, um ein Foto aus dem Pariser Club Bataclan nach den Anschlägen auf Verlangen der französischen Behörden zigtausendfach zu entfernen. In seinem Transparenzbericht führte Facebook auf, dass mehr als 32.000 Kopien des Bildes in Frankreich nicht angezeigt wurden.


In welchen Fällen machen sich Nutzer strafbar, wenn sie Beiträge teilen, die Persönlichkeitsrechte verletzen?

Eine Haftung sei immer dann möglich, wenn sie sich die fremde Falschmeldung inhaltlich zu eigen machten, erklärte der auf Internet-Recht spezialisierte Anwalt Christian Solmecke. „Nutzer, die eine Falschmeldung mit einem unterstützenden Kommentar versehen, können also auch rechtlich für eine Falschmeldung verantwortlich gemacht werden.“ Ob das reine Weiterverbreiten ohne zusätzliche Kommentierung eine Rechtsverletzung darstellen kann, sei dagegen höchstrichterlich noch nicht geklärt. In dem Würzburger Prozess ist auch ein AfD-Funktion verklagt, der das Bild geteilt hatte. (dpa/law)