Berlin.. Der Chaos Computer Club erhebt schwere Vorwürfe gegen die staatliche Spionagesoftware: Sie werde unzulässig eingesetzt. Politiker mehrerer Parteien verlangen Konsequenzen.
Eine von deutschen Ermittlungsbehörden eingesetzte Spionagesoftware verstößt nach Überzeugung des Chaos Computer Club (CCC) gegen die rechtlich vorgegebenen Grenzen. Ein dem Verein zugespielter „Trojaner“ weise Funktionen nach, die über das Abhören von Kommunikation hinausgingen, erklärte der CCC in Hamburg. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) bezeichnete den Vorgang als „beunruhigend“.
Nach Angaben des CCC handelt es sich bei der analysierten Software um ein Programm zur „Quellen-Telekommunikationsüberwachung“ („Quellen-TKÜ“), das ausschließlich für das Abhören von Internet-Telefonaten verwendet werden dürfe. Der jetzt analysierte Trojaner könne aber über das Netz weitere Programme nachladen, die wesentlich mehr könnten als Internet-Telefonate abhören: „Sogar ein digitaler großer Lausch- und Spähangriff ist möglich, indem ferngesteuert auf das Mikrofon, die Kamera und die Tastatur des Computers zugegriffen wird.“
Kontrolle des Computers möglich
Diesen Formen der Online-Durchsuchung hat das Bundesverfassungsgericht mit einem Urteil vom Februar 2008 aber enge Grenzen gesetzt. Computer von Verdächtigen dürften nur dann ausgeforscht werden, wenn „überragend wichtige Rechtsgüter“ wie Menschenleben oder der Bestand des Staates konkret gefährdet seien, urteilten die Richter. In jedem Fall bedürften Online-Durchsuchungen einer richterlichen Genehmigung.
Trojaner können per E-Mail auf einen Computer eingeschleust werden. Möglich ist zudem, die Zielperson durch eine unverdächtige Website anzulocken oder durch einen gezielten Internet-Angriff in den Computer einzudringen.
Die Untersuchung offenbarte nach Angaben des CCC zudem erhebliche Sicherheitslücken. Es sei für einen beliebigen Angreifer ohne weiteres möglich, die Kontrolle über einen von deutschen Behörden infiltrierten Computer zu übernehmen.
Das Bundesinnenministerium bestritt, dass der fragliche Trojaner von einer Bundesbehörde wie dem Bundeskriminalamt eingesetzt worden sein könnte. „Was auch immer der CCC untersucht hat oder zugespielt bekommen haben mag, es handelt sich dabei nicht um einen sogenannten Bundestrojaner“, erklärte ein Sprecher am Sonntag. Im Übrigen seien die zuständigen Behörden des Bundes und der Länder jeweils eigenständig für die Einhaltung der Vorgaben verantwortlich.
Grüne fordern Anhörung
„Wenn die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in der Praxis durch die Technik nicht eingehalten werden, verschwindet das Vertrauen der Bürger“, erklärte Leutheusser-Schnarrenberger am Sonntag in Berlin. Die FDP habe immer vor den Gefahren staatlicher Schnüffelsoftware gewarnt. „Diese massiven Vorwürfe müssen aufgeklärt werden“, sagte der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), dem Berliner „Tagesspiegel“ (Montagsausgabe).
„Offenkundig wurden vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Grenzen massiv verletzt“, erklärten die Grünen. Die Verantwortlichen von Innenministerium und BKA sollten im Innenausschuss des Bundestags schnellstmöglich angehört werden. „Von den politisch Verantwortlichen für diesen Verfassungsbruch erwarte ich, dass sie auch persönliche Konsequenzen ziehen und zurücktreten“, erklärte der Linken-Innenexperte Jan Korte. Auch der Chef der Piratenpartei, Sebastian Nerz, forderte in der Zeitung „Welt“ (Montagsausgabe) den Rücktritt der verantwortlichen Politiker sowie die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses. (afp)