Hannover. Herzschlagfinale in Niedersachsen: Bei der Landtagswahl hat Rot-Grün eine hauchdünne Mehrheit von einer Stimme im Parlament gewonnen. Dem bisherigen schwarz-gelben Regierungsbündnis half auch das Sensationsergebnis der Liberalen nichts.
Schwarz-gelbe Pleite zum Auftakt des Bundestagswahljahres: Trotz eines FDP-Rekordergebnisses ist die Koalition von CDU-Ministerpräsident David McAllister in Niedersachsen abgewählt. Nach einer stundenlangen Zitterpartie mit unklaren Mehrheitsverhältnissen zog Rot-Grün auf den letzten Metern an der seit 2003 regierenden Koalition vorbei. Neuer Ministerpräsident wird der bisherige hannoversche Oberbürgermeister Stephan Weil, der seinen Erfolg einem Spitzenwert der Grünen verdankt Die Linke flog aus dem Landtag, auch die Piratenpartei scheiterte klar an der Fünf-Prozent-Hürde. Die Wahlbeteiligung stieg auf rund 60 Prozent.
Eine Stimme mehr für Rot-Grün
Von einem klaren Sieg in Niedersachsen hatten sich die Parteien Rückenwind für die Bundestagswahl im Herbst erwartet. Die Abstimmung im zweitgrößten Flächenland mit 6,1 Millionen Wahlberechtigten gilt als wichtiger Stimmungstest. Vor dem Bundestag wird nur noch in Bayern ein neuer Landtag gewählt.
Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis wurde die CDU mit 36,0 Prozent stärkste Kraft, gefolgt von der SPD, die auf 32,6 Prozent kam. Die Grünen erzielten 13,7 Prozent, die FDP erreichte 9,9, die Linke 3,1 bis 3,2 Prozent. Mit Überhang- und Ausgleichsmandaten ergab sich damit folgende Sitzverteilung: CDU: 54; SPD: 49; Grüne: 20; FDP: 14. Das bedeutet eine Ein-Stimmen-Mehrheit im neuen Landtag für Rot-Grün mit 69 zu 68 Mandaten.
McAllister hatte die Landesregierung 2010 nach der Wahl seines Vorgängers Christian Wulff zum Bundespräsidenten übernommen.
Die FDP mit Umweltminister Stefan Birkner an der Spitze, der das Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde drohte, hatte im Wahlkampf massiv um Zweitstimmen von CDU-Wählern geworben - laut Forschungsgruppe Wahlen erfolgreich. Diese sprach von einem "Last-Minute-Transfer im schwarz-gelben Lager": 80 Prozent der aktuellen FDP-Wähler wählten eigentlich CDU. Am Ende verteidigte die FDP nach Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen den dritten Landtag in Folge. Für Schwarz-Gelb reichte es dennoch nicht.
FDP hofft auf neue Harmonie
Gleichwohl: Der Erfolg der Liberalen in Niedersachsen sei auch ein Erfolg Röslers, sagte Generalsekretär Patrick Döring. Er sei der richtige Vorsitzende. Schleswig-Holsteins Fraktionschef Wolfgang Kubicki, bislang einer der schärfsten Kritiker Röslers, betonte, nach dem "glorreichen Sieg" könne die FDP-Spitze in Harmonie über die Aufstellung für die Bundestagswahl im Herbst sprechen. Rösler sagte: "Das Rennen hat jetzt erst angefangen. Die Freien Demokraten werden jetzt loslegen." Fraktionschef Rainer Brüderle versicherte: "Diesen Schwung aus Niedersachsen werden wir für die Wahlen in Bayern und im Bund nutzen."
Die Niedersachsen-SPD vermisste zeitweise Rückenwind aus Berlin, wo Kanzlerkandidat Steinbrück seit Wochen wegen seiner Nebenverdienste und seiner Äußerungen zum Kanzlergehalt in der Kritik steht und in den Umfragen abgestürzt ist. Laut Forschungsgruppe Wahlen machten der Landespartei "Bundestrend und Kanzlerkandidat zu schaffen". Steinbrück räumte ein, dass es aus Berlin keine Unterstützung für Hannover gegeben habe. "Es ist mir auch bewusst, dass ich maßgeblich dafür eine gewisse Mitverantwortung trage." Dennoch stärkte Parteichef Sigmar Gabriel ihm den Rücken: "Was wären wir für ein jämmerlicher Haufen, wenn wir gleich den Kandidaten auswechseln würden, wenn der Wind mal von vorne kommt." Nach dem knappen Sieg in Niedersachsen dürfte die Bilanz sogar noch positiver ausfallen.
Grüne erfolgreich - und der Sieger des Abends
Die Grünen fuhren ihr mit Abstand bestes Ergebnis bei einer Landtagswahl in Niedersachsen ein. Parteichefin Claudia Roth zog aus Niedersachsen mit Blick auf den Bund den Schluss, "dass ein Wechsel möglich ist". Fraktionschef Jürgen Trittin sah eine klare Botschaft für den Herbst: "Wenn uns das bei der Bundestagswahl gelingt, genau so viel dazu zu gewinnen, und die anderen so viel verlieren, dann war es das mit Schwarz-Gelb."
Für die Linkspartei setzte sich die Serie von schweren Verlusten in Westdeutschland fort. Im vergangenen Jahr verpasste sie den Wiedereinzug in die Landtage von Schleswig-Holstein (2,2 Prozent) und Nordrhein-Westfalen (2,5 Prozent). 2011 war die Linke schon in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg erfolglos geblieben. Stark ist sie damit nur noch in Ostdeutschland und im Saarland. Linke-Chef Bernd Riexinger räumte ein: "Es gibt nichts zu beschönigen, das Ergebnis ist für uns schmerzhaft."
Schwerer Dämpfer für die Piraten
Für die Piratenpartei war Niedersachsen der erste schwere Dämpfer nach einer Erfolgsserie. Diese brachte die junge Partei in die Landesparlamente Berlins, des Saarlands, Schleswig-Holsteins und Nordrhein-Westfalens. In Niedersachsen lagen sie im Mai vergangenen Jahres in Umfragen auch noch bei 8 Prozent.
Bei der Landtagswahl 2008 war die CDU trotz herber Verluste mit 42,5 Prozent stärkste Partei geworden. Auch die SPD verlor und kam auf 30,3 Prozent. Die FDP holte 8,2, die Grünen 8,0 und die Linke 7,1 Prozent. Auf die CDU entfielen 68 Sitze im Landtag, auf die SPD 48. Die FDP errang 13 Mandate, die Grünen 12 und die Linke 11. Zuletzt hatte die CDU 69 und die SPD 46 Mandate, es gab einen fraktionslosen Abgeordneten. Die Wahlbeteiligung lag 2008 mit 57,1 Prozent auf einem historischen Tiefstand. (dpa)