Essen. Für den Politologen Jörg Bogumil liegt der Wert der Ruhrwahl vor allem im Symbolischen. Mehr Kompetenz erhalte das RVR-Parlament nicht.
Der Stimmzettel ist violett und liegt den Wahlunterlagen für die Kommunalwahl bei: Erstmals können Wähler im Ruhrgebiet am 13. September selbst die Zusammensetzung des Ruhrparlaments bestimmen.
Doch die erste Direktwahl der Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr hat einen Schönheitsfehler: Kaum jemand weiß davon. Mehr Demokratie wagen, ohne zu wissen wofür? Der Bochumer Politologe Jörg Bogumil hat sich darüber Gedanken gemacht. Ein Gespräch.
Für den Bürger wird es am 13. September unübersichtlich: Kreistage, Stadtbezirke, Bürgermeister und Stadträte wollen gewählt werden. Nun kommt noch die Wahl zum Ruhrparlament dazu. Ist das nicht ein bisschen viel Demokratie?
Bogumil: Nein, so sehe ich das nicht. Mit der Direktwahl des Ruhrparlaments habe ich ganz andere Probleme. Den meisten Bürgern ist gar nicht bekannt, was der RVR überhaupt macht. Und es ist nicht einfach etwas was zu wählen, was man nicht kennt. Zum anderen gibt es keinen richtigen Wahlkampf für die Ruhrparlamentswahl. Die Parteien konzentrieren sich sehr auf die Kommunalwahl. Die Kandidatenlisten für das Ruhrparlament sind weitgehend unbekannt. Es kann also sein, dass die Wähler wenig differenzieren und im Falle des Ruhrparlaments ihr Kreuz einfach bei der derjenigen Partei machen, deren Kandidaten sich auch auf kommunaler Ebene ihre Stimme gegeben.
Was wäre daran so schlimm?
Die Bildung der Mehrheitsverhältnisse im Ruhrparlament würde sich dann nur wenig vom bisherigen Modus unterscheiden. Bislang haben ja die Stadtparlamente ihre Delegierten in den RVR entsandt. Das Ruhrparlament wurde also indirekt gewählt. Das soll ja mit der Direktwahl anders werden.
Wird das Ruhrparlament dennoch gestärkt durch die Wahl?
Ja, das Ruhrparlament wird aus der Direktwahl gestärkt hervorgehen. Doch diese Stärkung ist nur symbolischer Natur. Mehr Kompetenzen erhält der RVR nämlich nicht. Alles bleibt beim Alten. Andernfalls hätten die Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte im Ruhrgebiet mehr Zuständigkeiten an den RVR abgeben müssen. Das aber war offenbar nicht erwünscht und nicht durchsetzbar.
Also außer Spesen nichts gewesen?
Positive Effekte gibt es durchaus. Die Direktwahl wird dafür sorgen, dass der RVR und das Ruhrparlament bei den Bürgern bekannter werden. Begrüßenswert finde ich auch, dass die Parteien recht hochrangige Politiker ins Ruhrparlament schicken. Allein die SPD hat drei Revier-Oberbürgermeister ganz oben auf ihre Kandidatenliste gesetzt. Bisher war es ja eher so, dass im RVR nicht unbedingt die profiliertesten Kräfte aus der Kommunalpolitik vertreten waren.
Ruhrparlament und RVR sind vielen Bürgern unbekannt. Braucht der RVR nach der Wahl neue Aufgaben?
Momentan ist es so, dass der RVR Aufgaben für alle Kommune im Ruhrgebiet übernimmt. Das muss ja nicht so starr gehandhabt werden. Denkbar wäre etwa, dass die kleineren Ruhrgebietsstädte Aufgaben an den Verband abtreten und dadurch entlastet werden. Die großen Revierstädte, besonders Dortmund, Essen, Duisburg und Bochum haben in der Regel genug eigene Kapazitäten.
Auch andere Städte-Regionen in Deutschland arbeiten institutionell eng zusammen, etwa die Region Aachen oder der Raum Hannover. Machen die es besser als das Revier?
In der Region Hannover funktioniert die Zusammenarbeit ganz gut. Dort gibt es eine klare Aufgabenteilung zwischen den Städten und der Regionalbehörde etwa im Verhältnis 70 zu 30. Im Ruhrgebiet ist ein solcher Prozess aber viel schwieriger zu organisieren.
Warum?
Das Ruhrgebiet ist schlichtweg zu groß, um klassisch kommunale Aufgaben wie etwa die Müllentsorgung zentral zu steuern. Die Städte verfügen ja über etablierte, gut funktionierende Strukturen. Warum also sollte man ihnen die wegnehmen? Auch für die Wasserwirtschaft gibt es längst regional Verantwortliche wie etwa die Emschergenossenschaft oder den Ruhrverband. Das muss alles nicht neu im RVR erfunden werden. Und im Bereich des ÖPNV gibt es zwar durchaus Abstimmungsnotwendigkeiten zwischen den verschiedenen Nahverkehrsverbänden und dem VRR, aber hier sehe ich nicht, wo der RVR helfen könnte.
In der Städteregion Aachen sind die Gesundheitsämter der Kommunen zusammengelegt worden. Wäre das nicht eine Aufgabe für den RVR?
Eine Zentralisierung der Gesundheitsämter wäre meiner Meinung nach sogar schädlich. Gerade in der Corona-Krise hat sich die Struktur kommunaler Verwaltungen mit ihrer Vor-Ort-Kompetenz bewährt. Die Städte konnten problemlos Personal aus anderen Ämtern zur Unterstützung in ihre Gesundheitsbehörde schicken. Dafür hätte der RVR gar nicht die Ressourcen gehabt.
Was heißt das für die Zukunft des RVR?
Will man den RVR als Klammer des Ruhrgebiets stärken, gibt es quasi eine natürliche Grenze: die Größe der Region. Das Ruhrgebiet könnte ja allein von der Einwohnerzahl her ein eigenes Bundesland sein. Wichtig wären also große gemeinsame Projekte, die der RVR für alle Städte voranbringt. Beispiele dafür sind die bereits fest terminierte Internationale Gartenschau, aber auch Olympia an Rhein und Ruhr. Stärken sollte man den RVR auf jeden Fall als politische Stimme des Ruhrgebiets. Dazu könnte die Direktwahl des Ruhrparlaments einen Beitrag leisten.
Fehlt nicht genau diese Stimme? Ein Ruhr-Oberbürgermeister wird es ja auch nach dieser Wahl nicht geben.
Besser wäre es natürlich gewesen, neben dem Parlament auch den RVR-Verwaltungschef direkt wählen zu lassen - analog zu der Wahl der Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte in den Kommunen und Kreisen. Das wäre dann ein mächtiges Amt von großem Gewicht auch gegenüber den Städten. Aber vielleicht kommt es ja noch dazu. Warten wir mal die erste Legislaturperiode des neuen Ruhrparlaments ab.
Das Ruhrgebiet wird oft mit Berlin verglichen. Die Hauptstadt entstand in ihrer jetzigen Form aus der Eingemeindung mehrerer Großstädte. Was halten Sie von dieser historischen Parallele?
In den 1920-er Jahren hat es tatsächlich diese eine reelle Chance gegeben, neben der Gründung Großberlins auch das Ruhrgebiet zu einer einheitlichen Stadt zu formen. Das war damals aber politisch nicht gewollt. Heute ist es undenkbar. Aber ich warne auch davor, Berlin als Vorbild für das Revier hinzustellen. Das Musterbeispiel einer gut funktionierenden Verwaltung ist die Hauptstadt nämlich keineswegs.
Nach dem Ende des Bergbaus darf auch diese provokante Frage gestellt werden: Gibt es das Ruhrgebiet überhaupt noch?
In der Mentalität der Menschen und der gemeinsamen Erfahrung des Strukturwandels sicher ja, als Wirtschaftsraum aber nur begrenzt. Nehmen Sie Dortmund. Die Stadt ist mit ihrem westfälischen Umland einfach stärker verflochten als mit dem westlichen Revier.