Karlsruhe.. Möglicherweise bestand die Thüringer Terrorgruppe aus mindestens vier Personen. Diesen Verdacht hegt der Bundesgerichtshof und erließ am Montagabend Haftbefehl gegen Holger G. Er soll das Trio unterstützt haben.
Im Zusammenhang mit dem Ermittlungen um die Gruppierung „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) ist am Montagabend ein weiterer Verdächtiger in Haft genommen worden. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs (BGH) in Karlsruhe erließ Haftbefehl gegen den bei Hannover festgenommenen Holger G. wegen Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Damit gab der BGH-Richter einem Antrag der Bundesanwaltschaft statt.
Auf das Konto der Neonazi-Truppe gehen nach bisherigen Erkenntnissen Morde an acht türkischstämmigen Männern und einem Griechen in den Jahren 2000 bis 2006, ebenso der Mord an einer Heilbronner Polizistin im April 2007.
Möglicherweise weitere Anschläge durch die NSU
Die rechtsextreme Terrorgruppe hat aber möglicherweise noch weitere schwere Anschläge verübt. Es gebe „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“, so der BGH-Ermittlungsrichter, dass die Zwickauer Zelle auch für einen Sprengstoffanschlag am 9. Juni 2004 in Köln verantwortlich ist. Doch eventuell gehen auf ihr Konto noch weitere Anschläge in Köln und Düsseldorf, bei denen zwischen 2000 und 2004 mehr als 30 Menschen teils schwer verletzt.
In Nordrhein-Westfalen ergab eine Analyse der Bekenner-DVD der Terrorzelle durch das Landeskriminalamt, dass es eine mögliche Verbindung zu einem Sprengstoffanschlag auf ein Kölner Lebensmittelgeschäft im Januar 2001 geben könnte. Damals wurde eine junge Deutsch-Iranerin verletzt.
Bereits zuvor hatte das NRW-Innenministerium über die DVD eine Verbindung zum Anschlag in der Kölner Keupstraße 2004 hergestellt. Dabei waren 22 Menschen in einem türkischen Viertel verletzt worden, ein Teil von ihnen lebensgefährlich.
Ein Zusammenhang mit einem Bombenanschlag an der S-Bahn-Station Düsseldorf-Wehrhahn im Jahr 2000 wird ebenfalls untersucht. Die entsprechende Soko wurde nun wieder ins Leben gerufen. Ein in einer Plastiktüte versteckter Sprengsatz war damals in einer Gruppe jüdischer Aussiedler explodiert, zehn Menschen wurden verletzt. Eine Frau verlor durch das Attentat ihr ungeborenes Kind.
Schließlich prüft das bayerische Landeskriminalamt eine Verbindung zwischen der Terrorserie und dem Messerattentat auf den früheren Passauer Polizeichef Alois Mannichl vor fast drei Jahren.
Größeres Netzwerk?
Die Bundesanwaltschaft ermittelt nun „intensiv im Umfeld“ der Zwickauer Zelle. Gesucht werden mögliche Unterstützer oder weitere Mitglieder, sagte ein Sprecher. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sagte, er setze auf rasche Aufklärung, ob hinter dem schon bekannten Täter-Trio ein größeres Netzwerk stehe.
Friedrich forderte in der „Bild“-Zeitung zugleich Aufklärung vom Thüringer Verfassungsschutz. Es sei „sehr beunruhigend, dass zwischen der Mordserie in ganz Deutschland und der rechtsextremen Szene in Thüringen kein Zusammenhang erkannt wurde“, sagte Friedrich. Sein Sprecher schloss nach derzeitigem Erkenntnisstand aus, dass Mitglieder des Neonazi-Trios aus Thüringen vom Bundesamt für Verfassungsschutz oder dem Bundeskriminalamt geführt worden sind.
Merkel: Bluttaten „Schande für Deutschland“
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte die Bluttaten „eine Schande für Deutschland“. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) forderte eine Umstrukturierung des Verfassungsschutzes. Es müsse darüber geredet werden, ob der Verfassungsschutz mit 16 Landes- und einer Bundesbehörde „optimal organisiert“ ist. Eventuell könnten Landesbehörden zusammengelegt werden.
Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages (PKGr), Thomas Oppermann (SPD), warf dem Verfassungsschutz Versagen vor. Es sei in keiner Weise nachvollziehbar, dass die Verdächtigen jahrelang abtauchen konnten. Das Gremiumsmitglied Hans-Christian Ströbele (Grüne) bekräftigte, für ihn stehe außer Zweifel, dass „erhebliche Fehler“ bei den Sicherheitsbehörden - Verfassungsschutz und Polizei - gemacht wurden. Das PKGr will sich am heutigen Dienstag vom Geheimdienst in Berlin informieren lassen.
Neue Debatte über NPD-Verbot
Die beispiellose Mordserie der NSU fachte indessen die Debatte über ein Verbot der rechtsextremen NPD wieder an. Die CDU schwenkte bereits um und will nun die Erfolgsaussichten eines neuen Verbotsantrags beim Karlsruher Verfassungsgericht prüfen. Die Innenminister Bayerns und Baden-Württembergs signalisierten Unterstützung. Oppermann, der auch Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Bundestag ist, sagte dem ZDF, die NPD gehöre ganz klar verboten. Auch wenn sie offenbar keinen Kontakt zu der Zwickauer Terrorzelle gehabt habe, schaffe sie doch „das geistige Umfeld“.
Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger wandte sich jedoch gegen ein NPD-Verbot. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, warnte vor Übereifer, auch wenn ein NPD-Verbot auf den ersten Blick sympathisch klinge. Mit Verboten ändere sich jedoch nichts in den Köpfen von Neonazis, Rassisten und Antisemiten.
Der erste Versuch, die NPD als verfassungswidrige Partei verbieten zu lassen, hatte für Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat nämlich 2003 in einem Debakel geendet. Der Zweite Senat in Karlsruhe stellte das Verfahren ein, nachdem bekannt wurde, dass sich das Beweismaterial zu großen Teilen auf Aussagen von V-Leuten stützte. (dapd)