Dannenberg..

Ein massives Aufgebot von Polizeikräften hält Zehntausende Atomkraftgegner in Schach. War die Auftaktkundgebung am Samstag noch weitgehend friedlich, gibt es am Sonntag entlang der Castor-Route handfeste Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Die Nacht geht, die Demonstranten kommen. Die Sonne über dem Wendland ist noch nicht aufgegangen, da strömen sie aus den großen Camps rund um Dannenberg, in denen sie die kalte und kurze Nacht verbracht haben und ziehen durch den Wald Richtung Bahnstrecke. „Die Gleise besuchen“ und „Castor schottern“ – also Steine aus dem Gleisbett entfernen.

Hunderte sind es, aus denen schnell Tausende werden. Nur die Teilnehmer aus dem Camp Metzingen verspäten sich. „Klopapier war alle“, entschuldigen sie sich.

Fünf-Finger-Taktik

Kaum ist die Truppe richtig groß geworden, teilt sie sich schon wieder auf. Wie die gespreizten Finger einer Hand wollen die Demonstranten nicht geballt sondern auf breiter Front an den Polizisten vorbei, die die Gleise sichern. „Fünf-Finger-Taktik“ nennt sich das und hat vor Jahren beim Gipfel in Heiligendamm hervorragend funktioniert.

Auch im Wendland sieht es zunächst gut aus. „Kaum Bullen da“, heißt es von vorne. „Das wird kein Problem.“ Ein Irrtum, wie sich schnell herausstellt. „Überall Reizgas, wir kommen nicht an die Gleise heran“, berichtet ein junger Mann mit tränenden Augen.

Wasserwerfer und Reiterstaffeln

Nichts ist plötzlich mehr zu spüren von der guten, ja fast ausgelassenen Stimmung des Vortages, als Zehntausende friedlich auf einem abgeernteten Maisfeld gegen den Castor und die Laufzeitverlängerung für die deutschen Atomkraftwerke protestierten. Stattdessen eskaliert die Lage in den Wäldern entlang der Strecke. Immer neue Einsatzkräfte führt die Polizei heran. Wasserwerfer und Räumfahrzeuge fahren auf, Reiterstaffeln und Hundestaffeln durchkämmen die Wälder. Am Himmel kreist zeitweise ein halbes Dutzend Hubschrauber. Und die große Treckerblockade vom Vortag, die ist auch abgeräumt. Polizisten haben sich hinter das Steuer der Fahrzeuge geklemmt und die Hindernisse zur Seite gefahren.

Doch die Demonstranten sind hervorragend untereinander vernetzt, verständigen sich via SMS oder Twitter und tauchen so immer wieder an Orten auf, an denen man sie nicht erwartet.

Erste Krawalle

In der Nähe von Hitzacker kommt es am späten Morgen zu ersten größeren Krawallen. Die Beamten hätten sofort zu Schlagstöcken gegriffen, klagen die Aktivisten, hätten gehauen und geschubst. Und nicht nur „literweise“ Reizgas eingesetzt, sondern auch Wasserwerfer und Räumfahrzeuge. Eine Polizeisprecherin wiederum spricht von Angriffen mit Reizgas und Signalmunition auf die Beamten. Bei Leitstade sei sogar ein Räumpanzer der Polizei mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen und angezündet worden. Nur dem schnellen Eingreifen einiger Kollegen sei es zu verdanken, dass niemand verletzt worden sei.

Völlig friedlich geht es dagegen am frühen Nachmittag am Verladebahnhof in Dannenberg zu. Hunderte haben sich hier getroffen, haben Decken und Stühle mitgebracht, Fahnen und Schilder, manche auch eine Gitarre. Und so singen sie nun, singen zur Melodie von Cliff Richards „Rote Lippen sollst du küssen“ ihre Protestsongs: „Ja, den Castor musst du stoppen...“

„Wir wollen keine Gewalt“

Ein paar Kilometer weiter versuchen sie genau das immer wieder. Doch auch entlang der Bahnstrecke hat sich die Situation am Nachmittag leicht entspannt. Vielleicht auch, weil Wolfgang Ehmke, Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, beide Seiten noch einmal zu Gewaltfreiheit und Besonnenheit aufgerufen hat. „Wir wollen keine Gewalt sondern eine Atomausstiegsdebatte und appellieren an die Polizei, auf Gewalt zu verzichten“, sagt er und mahnt die Atomkraftgegner, „die Linie der Gewaltfreiheit durchzuhalten“. Man dürfe es „der Gegenseite nicht leicht machen und sich zur Gewalt hinreißen lassen“.

Großräumiges Schottern ist bis zu diesem Zeitpunkt zwar nicht gelungen aber an mehreren Stellen haben es die Demonstranten geschafft, sich auf die Gleise zu setzen. Die Polizei lässt sie zunächst gewähren. Genau wie auf der Zufahrtsstraße zum Zwischenlager in Gorleben.

Nur einige Kilometer ist der Transport noch von seinem Ziel entfernt, als es über dem Wendland zu dämmern beginnt. Doch am Verladebahnhof sind beide Seiten überzeugt: „Das wird eine lange Nacht.“