Hanoi. Als wir auf dem Weg nach Hanoi den Chi Lang-Pass erreichen, sagt mein vietnamesischer Freund Doan strahlen: "Hier haben wir die Chinesen geschlagen!" Der Sieg liegt schon etwas länger zurück: 1427 gerieten die Ming-Soldaten an diesem Pass in einen Hinterhalt des Rebellenführers La Loi.
30 000 kaiserliche Kämpfer blieben auf dem Schlachtfeld.
Wenige Kilometer weiter auf der Nationalstraße 1 verlieren sich die waldreichen Hügel am Rand des Tals des Roten Flusses. Doan ist immer noch bei den Chinesen: „30 Jahre mussten wir mit denen über die Markierung unserer Grenze verhandeln“, klagt er. (Die ist 1400 km lang.) „Und jetzt beanspruchen sie die Hoheit über das Ostmeer!“ (So nennen die Vietnamesen die Südchinesische See). Doch beim Gipfel des Verbandes Südostasiatischer Nationen (ASEAN) im November hat Vietnam dem übermächtigen Nachbarn ein Schnippchen geschlagen: Alle Meeresanrainer – neben Vietnam Malaysia, Brunei, Indonesien und die Philippinen – wiesen mit Rückendeckung der USA Pekings imperiale Ansprüche – auch auf die 100 abgeschiedenen Spratly-Inseln - zurück. (Konkret geht es um reichhaltige Öl- und Gasvorkommen . . .)
Zu China unterhält Vietnam traditionell ein schwieriges Verhältnis. „Über Jahrhunderte haben sie uns geknechtet“, schimpft Doan. Vom Drang chinesischer Herrscher, dem kleineren Nachbarn ihre Kultur aufzuzwingen, zeugen auch die Schriftzeichen an buddhistischen Pagoden aus dem 16. Jahrhundert etwa in der alten Stadt Ho An.
Man kann den Chinesen nicht trauen
Im Gedächtnis geblieben ist der blutige Grenzkrieg von 1979, ein dreister Überfall des sozialistischen Bruderlandes auf das vier Jahre zuvor wiedervereinigte Heimatland Ho Chi Minhs. Im Militärmuseum von Hanoi wird China in eine Reihe mit den „westlichen Aggressoren“ Frankreich und USA gestellt. Doch im Unterschied zu den Amerikanern, die in Vietnam immer beliebter werden, hören wir über die Chinesen kein gutes Wort: „Man kann denen einfach nicht trauen“, warnt Doan. Umgekehrt scheint dies auch zu gelten: Die chinesischen Touristen bringen alles mit, selbst das Trinkwasser – und konsumieren oft nur einen Dollar pro Tag.
Selbst Premierminister Nguyen Tan Dung bleibt im Interview mit uns auf kühler Distanz, als wir ihn zu China befragen: „Die Führer beider Länder sind sich einig“, sagt er gestelzt, „dass beide Seiten Anstrengungen unternehmen sollten, den Frieden beizubehalten“. Freundschaftsschwüre klingen anders. „Vietnam legt großen Wert auf das Verhältnis zu den USA“, fügt der Premier hinzu. Beide haben Trouble mit China – das verbindet.
Den Flankenschutz des einstigen Kriegsgegners braucht Hanoi auch für den bedrohten Reisanbau vietnamesischer Bauern im Mekong-Delta: Weil China in dem 4300 km langen Fluss acht neue Staudämme auf seinem Territorium baut, fürchtet der Süden Vietnams um seine reichen Ernten. Denn die Staudämme werden Sediment zurückhalten und so die Flussböden weniger fruchtbar machen. Zudem wird das Meerwasser im Mekong-Delta weiter vordringen und die Böden des zweitgrößten Reisexporteurs der Welt versalzen.
Dem Energiehunger Chinas begegnet mein Freund Doan achselzuckend: „Wir können uns den Nachbarn leider nicht aussuchen“.