Essen. Welche Idee steckte hinter WikiLeaks? Was haben die Männer um Julian Assange erreicht? Wie wichtig ist verantwortungsvoller Umgang mit Medien? Drei Neuerscheinungen beschäftigen sich mit der Geschichte und den Machenschaften der WikiLeaks-Gruppe.
Drei Bücher sind in den vergangenen Wochen erschienen. Drei Bücher, die sich mit WikiLeaks und dem Phänomen des Geheimnisverrats im Internet beschäftigen. Die Bücher erzählen die Geschichte von einer Handvoll junger Männer, die eine neue Technik entdeckten, sich für die Sperrspitze einer Freiheitsbewegung hielten und deswegen auf die Idee kamen, die Welt zu revolutionieren. Es ist die Geschichte von Fanatikern, die zu anderer Zeit an anderen Orten auch Terroristen hätten werden können. Wie immer, wenn rücksichtslose Menschen ihre Idee über alle Regeln stellen.
Das Ende ist schnell erzählt. Nachdem der Zauber des Anfangs verfolgen ist, bemerken die jungen Männer, dass sie keine Revolution vorangetrieben haben, sondern vor allem ihre Egos pflegten. Der Kopf der Gruppe, Julian Assange, Schöpfer von WikiLeaks, landet in Haft- wegen einer angeblichen Vergewaltigung. Sein früherer Handlanger Daniel Domscheit-Berg versucht sich als Informationshändler für etablierte Medienhäuser, und andere Organisationen, die Nachrichten kaufen wollen. Eigentlich profane Biografien, an die man beim Start ins WikiLeaks-Leben nicht gedacht hätte.
Tatsächlich ist der Anfang der Bewegung jugendlich wild. Wie wild erzählt die australische Journalistin Suelette Dreyfus, in ihrer Geschichte „Underground“, die in diesen Tagen erstmals seit seiner Veröffentlichung in englischer Sprache vor dreizehn Jahren auf Deutsch erscheint. Dreyfus hatte für das Buch 1997 über die Hackerszene in Melbourne recherchiert. Assange ist einer der Protagonisten der Geschichte und war bei der Recherche behilflich, wurde Dreyfus’ Coautor. In dem Buch taucht er unter seinem Tarnnamen Mendax auf.
Recherche in der Hacker-Szene
Dreyfus beschreibt, wie Mendax seinen ersten großen Gig hat, wie er erfolgreich versucht, in das Computersystem der Australischen Telekom einzudringen. Sie beschreibt, wie er eine Datenliste klaut und sich das Passwort beschafft. Er ruft wahllos Leute an und fragt sie nach ihren Daten. Einer ist doof genug und gibt sein Passwort heraus. Das ist alles: ein betrügerischer Telefonanruf, damit startet Assange seine Karriere. „Soziales Hacken“ nennt das Assange, alias Mendax.
Drei Jahre hat Dreyfus für das Buch recherchiert, Interviews mit Hackern aus aller Welt geführt und sich das Vertrauen der Szene erarbeitet. Herausgekommen ist keine kritische Analyse. Dafür aber eine Beschreibung einer damals neuen Szene: die der Hacker. Jener Menschen also, die für sich die totale Öffentlichkeit in Anspruch nehmen. Ohne Rücksicht auf andere, auf Gesetze und Grenzen. Dreyfus beschreibt damit das Umfeld, in dem die Idee von der grenzenlosen Öffentlichkeit erwachsen ist. Es ist eine starke, faszinierende Idee, die Menschen in ihren Bann schlagen kann.
Wie aus dieser Idee ein Projekt wurde, beschreiben die beiden Spiegel-Reporter Marcel Rosenbach und Holger Stark in ihrem gut recherchierten Buch „Staatsfeind WikiLeaks.“ Sie offenbaren dabei den problematischen Charakter Assanges. Seine Launenhaftigkeit, aber auch seine Entschlossenheit, mit der er das Projekt „WikiLeaks“ vorantrieb und mit der er schließlich monatelang die Nachrichten der Welt beherrschte.
Glaube an die totale Öffentlichkeit
Beispielsweise wie er sich in Australien rund um das Jahr 2006 eine Bewegung ausdenkt, die es eigentlich nicht gibt. Wie er mit Tarnung und Täuschung um Unterstützer von WikiLeaks wirbt. Chinesische Dissidenten, die sein Netzwerk unterstützen? Ausgedacht. Prominente Unterstützer? Halbwahrheiten. Durchgestochene Dokumente? Eher von Hackern geklaute Daten, die in Melbourne, Ortsteil Carlton, in einer „Pippi-Langstrumpf“-Villa in die WikiLeaks-Struktur eingefügt werden.
Allerdings belassen es Rosenbach und Stark nicht dabei, WikiLeaks und Assange als skrupellose Blender zu enttarnen. Sie würdigen auch den Einsatz für einen politischen Reinigungsprozess: Die Offenbarung von Staatsgeheimnissen mache eine Demokratie „stärker, nicht schwächer“. Sie zeigen, wie Assange sich im Glauben an die totale Öffentlichkeit für seine Sache einsetzt. Wie er geistreich und faszinierend Leute in seinen Bann zieht und einige der größten Scoops des Jahrhunderts landet, mit denen sich jede Zeitung schmücken würde, wenn ihr ein solcher Schlag gelingen würde.
Zensur und Erpressung
Stellenweise liest sich das Buch der Spiegelautoren wie ein Krimi. Gerade, weil es kritisch bleibt und nicht wie in einem Heldenepos abhebt. Etwa wenn sie beschreiben, wie Assange in einem Londoner November mit der Guardian- und der Spiegel-Redaktion über die Veröffentlichung der US-Botschaftspapiere verhandelt. Zunächst sollten die Zeitungsmacher dafür sorgen, dass ein Assange unangenehmes Portrait aus der New York Times verschwinde – danach könne man über Daten reden. Zensur und Erpressung im Namen der gnadenlosen Öffentlichkeit.
Ein Geistes-Spagat, wie ihn nur Leute hinkriegen, die von sich glauben, sie würden über den Regeln der Menschen stehen. Diesen Eindruck gewinnt man von Assange. Und wenn man das dritte Buch über die WikiLeaks-Macher liest, gewinnt man diesen Eindruck auch vom ehemalige „Pressechef“ der Gruppe, Daniel Domscheit-Berg. Dieser hat mit dem Buch „inside WikiLeaks“ seinen persönlichen Erfahrungsbericht aus den Reihen der Enthüller beschrieben.
Während er in dem Buch der Spiegelautoren eine wichtige Figur am Rande der Hauptgeschehnisse um Assange ist, liest sich Domscheit-Bergs eigener Bericht eher so, als habe er den Hauptteil der Arbeit erledigt. Viele handelnden Personen aus der ganzen Welt tauchen bei Domscheit-Berg kaum auf. Dafür glänzt sein Bericht vor Hassliebe, schon der Einband ist im düsteren Schwarztürkis gehalten.
Anekdoten über den Privatmensch Assange
Richtig ist: Domscheit-Berg und Assange waren lange Partner, teilten sich Zimmer, Sofa und Frühstück, und bereiteten einige der großen öffentlichen Skandale vor. Doch leider verliert sich Domscheit-Berg bei seiner Erzählung zu oft in Nebensächlichkeiten. Vieles geht dabei über die Grenze der Peinlichkeit hinaus. Etwa wenn er im Detail beschreibt, wie Assange egoistischerweise Schweizer Schokoladenpulver der Marke Ovomaltine wegfuttert, ohne was abzugeben.
Brisanter wird es, wenn Domscheit-Berg bestätigt, dass Quellen oder Recherchen erfunden wurden, um die Glaubwürdigkeit der Berichte von WikiLeaks zu untermauern. Er selbst verteidigt dieses „großmäulige“ Verhalten als mutig. Eher am Rand wird berichtet, dass dem vermutlich wichtigsten WikiLeaks-Informanten in den USA Lebenslange Haft droht – vielleicht sogar die Todesstrafe. Er ist eben ein Kollateralschaden der absoluten Öffentlichkeit.
Die Ideologie ist gescheitert
Trotz dieser Schwächen ist „inside WikiLeaks“ ein wichtiges Buch. Es enthüllt schonungslos, wie WikiLeaks in die Irre geführt wurde. Damit eröffnet Domscheit-Berg die Debatte um die Notwendigkeit, verantwortungsvoll mit Informationen und Enthüllungen umzugehen.
Heute ist die radikale WikiLeaks-Ideologie weitgehend gescheitert. Die Plattform selbst veröffentlicht keine uneditierten Daten mehr. Stattdessen werden die Informationen an interessierte Medien, wie den Spiegel, abgegeben und aufbereitet. Domscheit-Berg hat unlängst mit Open-Leaks einen WikiLeaks-Klon eröffnet und will dort mit entwendeten Daten handeln. Organisationen oder Medienhäuser sollen sich gegen ein Entgeld in die Enthüllungsstrukturen einmieten.
- Marcel Rosenbach, Holger Stark: „Staatsfeind WikiLeaks“, Deutsche Verlags-Anstalt. 335 Seiten, 14,99 Euro
- Domscheit-Berg: „Inside Wikileaks“, Econ. 303 Seiten, 18,00 Euro
- Suelette Dreyfus, Julian Assange: „Underground“, Haffmans & Tolkemitt. 608 Seiten, 24,90 Euro