Düsseldorf. Nur ältere Schüler, zum Teil gute IT-Ausstattung: Viele Berufskollegs möchten den Präsenzunterricht reduzieren -- und dürfen nicht.

Während die FDP-Minister in der Landesregierung weiter auf den Präsenzunterricht setzen, gehen nun auch die Berufskollegs in NRW auf die Barrikaden und fordern mehr Möglichkeiten, Schüler in den Distanzunterricht zu schicken. Wir halten das Festhalten am Präsenzunterricht für fatal“, sagte der Chef des Verbandes der Berufsschullehrer in NRW (vlbs) , Michael Suermann. Viele Ausbildungsbetriebe sorgten sich um die Gesundheit ihrer Lehrlinge während der Berufsschulzeit.

Der stellvertretende NRW-Ministerpräsident Joachim Stamp (FDP) wies am Montag Überlegungen der Bundesregierung zurück, die Teilung von Klassen zu erwägen. Laut Stamp fehlt das Personal, um Klassen zu halbieren und Schüler im Wechsel in den Schulen und daheim zu unterrichten.

"Ein Berufskolleg ist keine Grundschule"

Viele Berufsschulen sehen dies offenbar anders. „Wir brauchen mehr Freiheiten beim Infektionsschutz. Man kann ein Berufskolleg nicht mit einer Grundschule vergleichen“, sagte Michael Suermann dieser Redaktion. Laut dem Verbandsvorsitzenden dringen viele Ausbildungsbetriebe darauf, dass ihre Lehrlinge in der Berufsschulzeit wegen des Besorgnis erregenden Infektionsgeschehens in den Distanzunterricht geschickt werden: „Manche Betriebe kündigen an, die Azubis vorsorglich in Quarantäne zu schicken, wenn sie weiter in den Schulen unterrichtet werden sollten.“

Welche Hürden Berufsschulen, die Konzepte für den Distanzunterricht haben, vom Land  in den Weg gestellt werden, erzählt der Leiter eines Berufskollegs im Ruhrgebiet: Die Schüler dort sind fast alle älter als 18 Jahre, ein Betreuungsproblem beim Online- oder Hybrid-Unterricht gibt es also nicht. Fast alle Schüler und Lehrer sind mit Endgeräten sowie Lern-Software ausgestattet. „Trotzdem müssen die Berufsschulen in NRW weiter Präsenzunterricht anbieten. Distanzunterricht ist im Prinzip nur für Schüler in Quarantäne möglich“, ärgert sich die Schulleitung.

Bezirksregierung lenkte am Ende doch ein

Das Berufskolleg, das anonym bleiben möchte, hat wochenlang gegenüber Landes- und Bezirksregierung für sein Infektionsschutzkonzept gekämpft. Zuletzt erhielt es – nach einer Klageandrohung – doch noch grünes Licht dafür. Aber das ist eine Einzelfallentscheidung. Viele andere Berufsschulen werden offenbar weiterhin zum Präsenzunterricht gezwungen.

In Essen riefen Schüler eines Berufskollegs am Montag sogar zum Streik. Sie fordern Distanzunterricht, geteilte Klassen und mehr Busse und Bahnen.

Andreas Schrade, Geschäftsführer des Verbandes der Privatschulen in NRW (VdP) , kann den Ärger in den Berufsschulen nachvollziehen. „Insbesondere in der Berufsbildung und in der Oberstufe könnte man die Regeln für Distanz- und Präsenzunterricht flexibler gestalten“, sagte Schrade. Viele Schulen hätten inzwischen gute Konzepte erarbeitet. Den Schülern würde dadurch kein Nachteil entstehen, der Gesundheitsschutz würde deutlich verbessert. Mehrfach habe sich der Verband vergeblich an das NRW-Schulministerium gewandt. Hybrid- und Distanzunterricht sei in NRW für Schüler in Quarantäne vorgesehen, hieß es dort.

SPD-Bildungsexperte Ott: "Alternativer Unterricht an Berufskollegs möglich"

SPD-Bildungsexperte Jochen Ott erinnerte an die Ablehnung des „Solinger Modells“ – eine Kombination von Präsenz- und Distanzunterricht – durch die Landesregierung. „Das trägt auch zur Verunsicherung im System bei. Gerade an Berufskollegs ist mit der entsprechenden digitalen Ausstattung einiges an alternativen Unterrichtsformen möglich“, sagte der Kölner Landtagsabgeordnete auf Nachfrage.​