Essen.. Im einstigen „Kohleland“ NRW boomt der Umweltschutz. Naturverbände haben Tausende neue Mitglieder. Auch die Grünen profitieren von dem Trend.


Immer mehr Menschen setzen sich im einstigen Kohleland NRW für den Schutz der Umwelt ein. Die beiden größten Umweltvereine des Landes registrierten im vergangenen Jahr Tausende neue Mitglieder und erreichten dadurch einen neuen Höchststand. Während der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) knapp 4000 Neumitglieder aufnahm, waren es beim Naturschutzbund (Nabu) rund 6600. Der Verein registriere teils 60 Neueintritte pro Werktag, sagte Nabu-Sprecher Heinz Kowalski. Mit 95.000 Mitgliedern ist der Nabu den Angaben nach der größte Naturschutzverein, gefolgt vom BUND mit gut 34.000 Mitgliedern.

Beide Organisationen sehen in einem wachsenden Umweltbewusstsein der Bevölkerung den Hauptgrund für den Zulauf. „Ein Großteil der Bevölkerung sieht, dass der Umweltschutz nicht den Stellenwert in der Politik hat, wie es sein sollte“, sagte BUND-Geschäftsleiter Dirk Jansen.

Auch die Grünen in NRW profitieren von dem Trend

Das gilt offenbar nicht für die Grünen in NRW. „Bei den Mitgliederzahlen haben wir von Monat zu Monat neue Rekorde“, frohlockt die Öko-Partei. Seit den Landtagswahlen im Mai 2017 nahm die Partei 2900 neue Mitglieder auf, das bedeute ein Plus von 23 Prozent. „Inzwischen sind wir 15.600 Grüne in NRW – so viele wie nie zuvor in der fast 40-jährigen Geschichte unseres Landesverbands“, sagte Grünen-Vorsitzender Felix Banaszak dieser Redaktion.

„Artensterben kann echt Spaß verderben“ steht bei einer Kundgebung der Bewegung Extinction Rebellion auf dem Plakat eines Teilnehmers. Die Umweltaktivisten fordern von der Bundesregierung die Ausrufung eines Klimanotstandes.
„Artensterben kann echt Spaß verderben“ steht bei einer Kundgebung der Bewegung Extinction Rebellion auf dem Plakat eines Teilnehmers. Die Umweltaktivisten fordern von der Bundesregierung die Ausrufung eines Klimanotstandes. © Christoph Soeder/dpa | dpa






„Wir zeigen klare Haltung, und das kommt bei den Menschen an“, ist Banaszak überzeugt. „Unsere Neumitglieder wollen aktiv werden für Klimaschutz und den Erhalt unserer Umwelt, wollen für eine Politik streiten, in der wirtschaftlicher Erfolg mit der Natur wächst und nicht gegen sie.“ Insbesondere auch die Haltung der Partei zur geplanten Abholzung des Hambacher Forstes habe den Grünen Zulauf beschert.

Schüler demonstrieren gegen Kohle-Kraftwerke

Das Insekten- und Vogelsterben, die Rückkehr des Wolfes, der Kampf um den Hambacher Forst sowie der Dürresommer 2018 hätten die Menschen aufgerüttelt, meint Kowalski vom Nabu. „Seit zwei Jahren entwickelt sich das sehr intensiv.“ Auch die Freitags-Demos vieler Schüler, die seit Wochen für den Klimaschutz auf die Straße gehen, hätten die Öffentlichkeit sensibilisiert.

Rund 5000 junge Menschen zogen zuletzt mit Plakaten für den Klimaschutz durch die Innenstädte des Landes. Am kommenden Freitag werden erneut Tausende Schüler bei einer zentralen Demo in Essen erwartet, wo sie bei der Hauptversammlung der RWE-Aktionäre für die Abschaltung der Kohle-Kraftwerke demonstrieren wollen.

Wissenschaft sieht Kampf für ideelle Werte





Für Politikwissenschaftler ist das wachsende Engagement für die Umwelt kein überraschender Trend. „Es gibt immer mehr Menschen, die in einer Wohlstandsgesellschaft post-materielle Werte verfolgen“, erklärt Prof. Achim Goerres, Politikwissenschaftler an der Uni Duisburg-Essen. „Ihnen geht es nicht nur um Reichtum oder Erfolg, sondern mehr um Werte wie Selbstverwirklichung, Klimaschutz und Frieden.“ Das sei eine langfristige Entwicklung, auf die sich die Parteien einstellen müssten.

„Berufspolitiker müssen akzeptieren, dass Politik vielfältiger geworden ist und Parteien nicht mehr von allen politisch Aktiven genutzt werden.“ Vor allem die jüngere Generation würde das gezielte Engagement für bestimmte Themen einer langfristigen politischen Bindung vorziehen. Diese Entwicklung werde durch die sozialen Medien noch befördert.

Ministerin: Die neue Bewegung verändert die Politik

Das gewachsene Interesse an Umweltthemen verändere bereits den politischen Alltag, beobachtete NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU). „Es fällt zunehmend leichter, diese Themen zu setzen, sie werden nicht mehr so leicht von anderen Themen überholt“, sagte sie dieser Redaktion. „Als Umweltministerin freut mich dieses neue Bewusstsein. Es sind Zukunfts- und Überlebensthemen, und jeder hat hier Gestaltungsmöglichkeiten.“ (mit dpa)