Essen. Die Zahl der Gestorbenen ist im März 2020 sogar geringer als im Jahr zuvor. Doch Experten sehen darin keine Entwarnung

Die allgemeine Sterblichkeit hat sich durch die Corona-Pandemie in Nordrhein-Westfallen offenbar nicht erhöht. Nach vorläufigen Daten starben im März 2020 in NRW etwa 18.800 Menschen. Damit liegt die Zahl der Gestorbenen voraussichtlich sogar niedriger als im März 2019, als 19.100 Menschen verstarben, teilt das Landestatistikamt IT.NRW mit. „Hinweise auf eine durch die Covid-19-Pandemie erhöhte Sterblichkeit sind aus den Daten für März 2020 nicht abzulesen“, so die Statistiker. Stand Dienstag gab es im Zusammenhang mit Corona bislang 1171 Todesfälle in NRW.

Zur Abschätzung der wahren Zahl der Pandemie-Toten sprechen Experten von der sogenannten Übersterblichkeit. Der Begriff meint eine zeitweise erhöhte Sterblichkeit in der Bevölkerung. Mit der Übersterblichkeit wird zum Beispiel die Zahl der jährlichen Grippetoten geschätzt. Wie in NRW geben auch bundesweite Daten für das erste Quartal 2020 laut Statistischem Bundesamt noch keine Hinweise auf eine Übersterblichkeit durch Covid-19.

Für eine Bewertung noch zu früh

Nach Ansicht von Experten sind die Märzdaten dafür noch nicht aussagekräftig genug. „Die deutliche Mehrheit der Corona-Patienten verstarb im April, daher ist ein Vergleich der Märzzahlen zur Bewertung der Übersterblichkeit durch Covid-19 noch zu früh“, erklärt Prof. Jörg Timm, Direktor des Instituts für Virologie an der Uniklinik Düsseldorf. Generell ist die Zahl der verstorbenen Personen starken Schwankungen unterworfen. Insbesondere während der Grippesaison von Dezember bis März sind die Sterbefallzahlen höher. Für März 2018 ermittelten die Statistiker mit 24.000 Verstorbenen den höchsten Monatswert der letzten fünf Jahre.

Auch Prof. Karl-Heinz Jöckel, stellvertretender Leiter des Instituts für Epidemiologie in Essen, bezweifelt den aktuellen Aussagewert der Daten. „Die Zahlen schwanken stark von Jahr zu Jahr. Ein Unterschied von 300 Fällen zwischen März 2019 und März 2020 ist statistisch nicht signifikant.“ Die Märzzahlen seien kaum durch Corona beeinflusst, so Jöckel. Was die Unsicherheit vergrößert: Die Werte könnten durch Nachmeldungen noch steigen. Denn die Todesfälle werden von den Standesämtern erhoben, anschließend an das Statistische Landesamt weitergeleitet, wo sie geprüft und bearbeitet werden. Daher gehen die Zahlen mit Verzug in die Statistik ein.

Rasche Maßnahmen zeigten Wirkung

Nach Meinung von Prof. Timm könnten die frühzeitigen Bewegungseinschränkungen dafür gesorgt haben, dass die Zahl der Toten niedriger ist als in anderen Ländern. „Wir waren in Deutschland insgesamt sehr früh mit den Maßnahmen, sodass auch im Vergleich mit dem europäischen Ausland die Zahl der Todesfälle geringer ist.“


In den nächsten Wochen wird man klarer sehen, sagt Prof. Dietrich Rothenbacher, stellvertretender Präsident der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie. Da die Grippewelle seit Mitte März als beendet gilt, könnte ein einsetzender Anstieg von Sterbefallzahlen durch das Corona-Virus verursacht sein. „Erst im späteren Verlauf wird es möglich sein, die Übersterblichkeit durch Covid-19 auch statistisch zu schätzen, ähnlich wie es bei der Influenza gemacht wird.“

Rothenbacher betont in diesem Zusammenhang, dass es problematisch ist, von „Corona-Toten“ zu sprechen. „Ob jemand an oder mit dem Virus stirbt, ist im Einzelfall nicht zu ermitteln und wird auch nicht amtlich registriert.“