Berlin. Kurz vor der Bundestagswahl kam nun noch einmal der Bundesrat zusammen, um über aktuelle Gesetzespläne zu entscheiden. Es ging um Telefon-Abzocke und Abmahnungen, Werkverträge, das Betreuungsgeld, Managergehälter, Ärzte-Korruption, Zwangsprostitution, Menschenhandel und Ghetto-Renten. Ein Überblick.
Der Bundesrat kam am Freitag in Berlin zu seiner letzten Sitzung vor der Bundestagswahl und der Landtagswahl in Hessen zusammen. Es zeigte sich von Beginn an, dass die rot-grüne Ländermehrheit ihre Stärke demonstrieren, gleichzeitig aber ein Signal geben wollte, dass sie die Länderkammer nicht als reines Blockadeinstrument nutzen will.
Worüber die Politiker am Freitag im Bundesrat gesprochen haben - und wie sie in Bezug auf aktuelle Gesetzesvorhaben entschieden haben - haben wir hier im Überblick zusammengestellt.
So diskutierten die Politiker heute unter anderem eine mögliche Begrenzung von Manager-Gehältern. Mit folgendem Ergebnis: Der Bundesrat hat die Gesetzespläne zur Begrenzung von Managergehältern gestoppt. Die Länderkammer rief dazu am Freitag den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat an. Damit ist das Gesetzesvorhaben faktisch gescheitert, weil so kurz vor der Bundestagswahl keine Zeit mehr für ein Vermittlungsverfahren bleibt. Gesetzesvorhaben, die bis zum Ablauf der Wahlperiode nicht endgültig verabschiedet sind, verfallen.
Ursprünglich war vorgesehen, künftig zusätzliche Kontrollrechte für die Aktionäre von börsennotierten Unternehmen einzuführen - als Reaktion auf die Empörung über ausufernde Managergehälter. Demnach sollte in Zukunft die Hauptversammlung einmal jährlich über die Vergütung des Vorstands entscheiden und nicht mehr allein der Aufsichtsrat. Eine gesetzliche Obergrenze für die Managergehälter war nicht vorgesehen. Im Bundesrat kam jedoch Kritik aus dem Lager der von SPD, Grünen und Linken geführten Länder. Sie werteten die Pläne als wirkungslos und unzureichend.
Strengere Regeln gegen "Abzocke" am Telefon und teure Abmahnungen
Vor unseriösen Geschäftspraktiken im Internet, am Telefon und bei überteuerten Abmahnungen sollen Verbraucher künftig besser geschützt sein. Gewinnspielverträge kommen nicht mehr einfach am Telefon zustande, sondern müssen schriftlich abgeschlossen werden. Inkasso-Unternehmen müssen künftig genau erläutern, für wen und warum sie Zahlungen eintreiben.
Für Abmahnungen privater Internetnutzer wegen Urheberrechtsverstößen kommt eine Gebühren-Obergrenze. Das sieht ein Gesetzespaket vor, für das der Bundesrat am Freitag den Weg endgültig frei machte. Die Neuregelungen sollen voraussichtlich noch im Herbst in Kraft treten, für Inkasso-Schreiben im kommenden Jahr.
Für eine erste Abmahnung wegen illegalen Herunterladens von Bildern oder Musik aus dem Internet dürfen Anwälte künftig in der Regel höchstens knapp 148 Euro berechnen. Bisher sind es teils mehrere hundert Euro. "Außerdem können Verbraucher künftig nicht mehr an einem beliebigen Gericht verklagt werden, sondern nur noch an ihrem Wohnsitz", sagte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger (FDP).
Bei unerlaubten Werbeanrufen steigt das Bußgeld von 50 000 Euro auf bis zu 300 000 Euro. Die Regelungen gelten künftig auch, wenn automatische Anrufmaschinen eingesetzt werden. Gewinnspielverträge, von denen am Telefon die Rede ist, werden nur wirksam, wenn sie in Textform - also per Brief, Fax oder Mail - abgeschlossen werden.
Bei Inkasso-Firmen werden die Bußgeldhöchstsätze von 5000 auf 50 000 Euro angehoben. Die Branche soll zudem strenger beaufsichtigt werden.
Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU) sagte, die Maßnahmen seien "eine klare Kampfansage an unseriöse Anbieter und Betrüger". Bayerns Verbraucherministerin Beate Merk (CSU) sprach von einem "großen Schritt", meldete aber Nachbesserungsbedarf an. Der Schutz vor Telefonabzocke dürfe sich nicht nur auf Gewinnspiele beschränken.
Missbrauch von Werkverträgen soll ein Riegel vorgeschoben werden
Dem zunehmenden Missbrauch von Werkverträgen soll endlich ein Riegel vorgeschoben werden. Das ist das Ziel eines vom Bundesrat am Freitag beschlossenen Gesetzentwurfs. Darin sind schärfere gesetzliche Regelungen und mehr Mitbestimmungsrechte für Betriebsräte vorgesehen. Mit der Vorlage wird sich nun der neue Bundestag befassen müssen.
Ins Gerede kamen Werkverträge, weil Betriebe dazu übergingen, Arbeit nicht mehr von eigenem Personal oder Leiharbeitern erledigen zu lassen, sondern von Fremdpersonal auf der Basis von Schein-Werkverträgen. Bekannt wurden solche Praktiken zuletzt vor allem in Schlachthöfen. Für die Betroffenen sind sie durchweg mit Nachteilen verbunden: Sie arbeiten nicht nur zu Niedriglöhnen, ihnen werden auch die für Arbeitnehmer üblichen tariflichen Rechte vorenthalten. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kritisierte dies mehrfach.
Im Bundesrat wurde deutlich, dass der Missbrauch von Werkverträgen über Partei- und Ländergrenzen hinweg nicht akzeptiert wird. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) sprach von einer "besonderen Form von Lohndumping". Der hessische Bundesratsminister Michael Boddenberg (CDU) kritisierte "verabscheuungswürdiges Verhalten einzelner Unternehmer", plädierte aber für weitere Diskussionen.
Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium, Ralf Brauksiepe (CDU) sagte: "Wir wollen keine Scheinwerkverträge." Es gehe um faire Entlohnung. Arbeitnehmerschutzrechte dürften nicht unterlaufen werden. Für die niedersächsische Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) geht es darum, "den Niedriglohnsektor sowie alle Formen prekärer Beschäftigung zurückzudrängen".
Bundesrat lehnt Bildungssparen mit dem Betreuungsgeld ab
Das Bildungssparmodell der schwarz-gelben Koalition ist an der rot-grünen-Ländermehrheit im Bundesrat endgültig gescheitert. Die Länderkammer rief am Freitag in Berlin mehrheitlich den Vermittlungsausschuss an, der jedoch vor Neuwahl des Bundestages nicht mehr tagen wird. Gesetze, die bis zum Ablauf der Wahlperiode nicht endgültig verabschiedet sind, verfallen (Diskontinuität). Das Gesetz sah vor, dass die Empfänger von Betreuungsgeld diese Leistung auch zum Bildungssparen oder zur privaten Altersvorsorge nutzen können - dies wird nun nicht möglich sein.
Voraussetzung sollte ein entsprechender Sparvertrag mit einer Versicherung oder einer Bank sein. Der Staat hätte diese Geldanlage zusätzlich mit einer Prämie von jeweils 15 Euro monatlich bezuschusst - maximal 360 Euro für den zweijährigen Bezug von Betreuungsgeld. Die FDP hatte in der Koalition ihre Zustimmung zum Betreuungsgeld von dem Bildungssparmodell abhängig gemacht, das in einem Ergänzungsgesetz geregelt werden sollte.
Die rheinland-pfälzische Familienministerin Irene Alt (Grüne) und ihre niedersächsische Amtskollegin Cornelia Rundt (SPD) sprachen von einer "unsinnigen Ergänzung des unsinnigen Betreuungsgeldgesetzes". Das Koalitionsvorhaben mit seinen Prämien sei allenfalls "ein Geschenk an Banken und Versicherungen".
Gesetz für mehr Prävention und gegen Ärzte-Korruption gescheitert
Die letzten wichtigen Gesundheitsprojekte der Koalition in dieser Wahlperiode sind gescheitert - die Rechtslage ändert sich weder bei Korruption in Arztpraxen noch auf dem weiten Feld der Prävention.
Auch nach jahrelangen Debatten wird es in Deutschland vorerst kein Gesetz für mehr Gesundheitsvorsorge gegen die weit verbreiteten Volkskrankheiten geben. Gescheitert sind zudem die Pläne der Koalition für einen schärferen Kampf gegen Korruption im Gesundheitswesen. Mit der Mehrheit von SPD-, Grünen- und Linkspartei-regierten Ländern verwies der Bundesrat das Gesetz mit den beiden Vorhaben am Freitag in Berlin in den Vermittlungsausschuss. Wegen des bevorstehenden Endes der Legislaturperiode ist ein Vermittlungsverfahren des Gremiums von Bundesrat und Bundestag aber nicht mehr möglich - und das Gesetzesvorhaben damit hinfällig.
Mit zusätzlichen Millionenausgaben sollten die Krankenkassen die Ausbreitung von Volkskrankheiten eindämmen und die Bevölkerung zu einer gesünderen Lebensweise animieren. Die Opposition hält die Regierungspläne für wirkungslos. Vor allem sei zu wenig Hilfe für Arme vorgesehen, die aber besonders betroffen seien.
Die Länderkammer forderte einen umfassenderen Ansatz unter anderem mit mehrjährigen Programmen in Kooperation von Ländern und Sozialversicherungsträgern. Bereits unter der früheren SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt war ein Präventionsgesetz gescheitert.
Bestechlichkeit und Bestechung von Ärzten, Apothekern, Krankenkassen, Hilfsmittel- und Heilmittelanbietern sollte zudem verboten werden, soweit die gesetzliche Krankenversicherung betroffen ist. SPD und Grüne hatten verlangt, das Verbot der Korruption im Strafrecht und nicht im Sozialrecht zu verankern. Dann hätte auch der Bereich der privaten Krankenversicherung erfasst werden können. "Ziel muss es sein, jegliche Vorteilsnahme als Gegenleistung für eine Gesundheitsdienstleistung strafbewehrt zu sanktionieren", so der Bundesrat.
Die Debatte um Korruption hatte durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs an Fahrt gewonnen, nach dem viele Fälle derzeit nicht strafbar sind.
Bundesrat stoppt Gesetz gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel
Der rot-grün dominierte Bundesrat hat die Gesetzespläne gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel gestoppt. Die Länderkammer rief dazu am Freitag - zwei Tage vor der Bundestagswahl - den Vermittlungsausschuss von Parlament und Bundesrat an. Das Gremium kommt in der zu Ende gehenden Legislaturperiode aber nicht mehr zusammen. Das Vorhaben ist damit gescheitert.
Union und FDP hatten eine Änderung des Gewerberechts vorgesehen, um Zwangsprostitution in Deutschland einzudämmen. Bordellbetreiber sollten künftig unter anderem schon bei der Anmeldung ihres Gewerbes eingehend überprüft werden. Darüber hinaus waren Auflagen zum Schutz der Prostituierten geplant und eine Verschärfung des Strafrechts zum Menschenhandel. Die von SPD, Grünen und Linken geführten Länder kritisierten die Pläne jedoch als unzureichend.
Nach jüngsten EU-Angaben ist die Zahl der Opfer von Menschenhandel in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Schätzungen zufolge gab es allein in den Jahren 2008 bis 2010 in der EU mehr als 23 000 Betroffene. Mehr als zwei Drittel sind Frauen. Die meisten von ihnen werden zur Prostitution gezwungen.
Bundesrat votiert für rückwirkende Zahlung von Ghetto-Renten
Der Bundesrat hat sich für Renten-Nachzahlungen für die gut 20 000 Überlebenden aus jüdischen Ghettos der Nazi-Zeit ausgesprochen. Die Länderkammer forderte die nächste Bundesregierung auf, Rentenzahlungen für die Betroffenen rückwirkend ab 1997 gesetzlich zu ermöglichen. Den Antrag hatten die Länder Baden-Württemberg, Bremen und Nordrhein-Westfalen eingebracht.
Im Jahr 2002 hatte der Bundestag den Überlebenden des Holocausts, die sich im Ghetto freiwillig zur Arbeit gemeldet hatten, rückwirkend zum Jahr 1997 einen Anspruch auf Rente zugestanden. Die Ansprüche wurden aber sehr restriktiv ausgelegt, so dass nur wenige Berechtigte Geld erhielten. Erst 2009 entschied das Bundessozialgericht, die Voraussetzungen müssten großzügiger ausgelegt werden.
Da nach dem Sozialrecht Ansprüche höchstens für vier Jahre rückwirkend geltend gemacht werden können, bekamen die inzwischen hochbetagten Betroffenen ihre Rente erst von 2005 an. Anträge von SPD, Grünen und Linkspartei im Bundestag, dies zu ändern, fanden bei der schwarz-gelben Regierungsmehrheit jedoch keine Unterstützung. (dpa)