Essen.. Im Interview mit DerWesten kritisiert Militärforscher Prof. Michael Wolffsohn von der Universität der Bundeswehr in München die Reform der deutschen Streitkräfte und warnt vor den Auswirkungen auf die künftige Strategie der Bundeswehr auch bei internationalen Aufgaben.

Die Bundeswehr steht mit ihrer Reform vor der größten Veränderung in ihrer 56-jährigen Geschichte. Von ak­tuell 228 000 soll sie auf 185 000 Soldaten schrumpfen. Sogar ei­ne Reduzierung auf 158 000 Männer und Frauen ist im Gespräch. Gregor Boldt hat mit Militärforscher Prof. Michael Wolffsohn über die Folgen der Bundeswehrreform gesprochen.

Was bedeutet die weitere Reduzierung für Deutschland in seiner Rolle als Bündnispartner der Nato bei internationalen Einsätzen?

Wolffsohn: Das bedeutet, dass Strategie nach Kasse ge­macht wird. Das kann und darf nicht sein. Zunächst muss man wissen, welche Aufgaben die Bundeswehr der Zukunft erfüllen muss. Dann berechnet man die notwendige Zahl von Offizieren, Mannschaften, Ma­terial – und dann Geld. Erst dann folgt das politische Hickhack ums Budget.

Wie sehen die Nato-Partner die Reduzierung?

Mit Ausnahme der USA, Frankreichs und Großbritanniens werden die meisten Partner dem deutschen „Vorbild“ nacheifern. Die Nato wird zerbröseln, faktisch, nicht formal.

Ist der Zwang, die Truppe stärker zu reduzieren, nicht auch eine Chance, die Bundeswehr so aufzustellen, dass sie den Anforderungen an eine moderne Streitmacht gerecht wird?

Das ist nicht die entscheidende Frage. Nochmals: Entscheidend ist: Was soll die Bundeswehr können müssen? Mit welchen Einsatzformen ist wo zu rechnen? Welche Le­bensinteressen Deutschlands und der Nato-Partner müssen auf jeden Fall, notfalls mit Ge­walt, gesichert werden?

Wo sehen Sie diese Lebensinteressen?

In der wechselseitigen Be- und Beistandsgarantie auch bei Terrorabwehr und -prävention, der Verhinderung atomarer Proliferation (Weiterleitung von Massenvernichtungswaffen oder Bauplänen dafür, Anm. d. Red.), der Sicherung des freien Welthandels einschließlich der Seewege sowie allgemein der Rohstoffein- und -ausfuhr, der reaktiven und präventiven Cyberwarfare (Hacker-Angriffe im Internet, Anm. d Red.), Raketenabwehr und der Verhinderung oder Beendigung von Völkermorden.





Die Niederlande haben eine 44 000 Soldaten starke Armee und waren in Afghanistan. Zeigt das Beispiel nicht, was auch Deutschland ansteuern sollte: eine Reduzierung auf eine kleine, effiziente Hochtechnologie-Armee?

Die niederländischen Streitkräfte haben seit 1995 einiges wiedergutzumachen. Ich sage nur „Srebrenica“. Damals zo­gen sich die niederländischen Soldaten „vornehm“ zurück und ließen das Massaker an den Bosniern zu. Seitdem müssen sie zeigen, dass ihre Truppe auch kämpfen kann und will – für eine gute Sache, versteht sich. Um eben mehr Menschenleben zu retten als auszulöschen. Nur so verstehen wir doch unseren Einsatz im Westen.

Sie warnen seit langem davor, dass der Umbau der Bundeswehr zur Freiwilligen-, zu einer Unterschichten-Armee führen wird. Wäre dann eine Reduzierung nicht von Vorteil, so dass eben nicht jeder Bewerber, der in anderen Berufen keine Perspektive sieht, ge­nommen werden müsste?

Fähigkeiten, Anstand, Mo­ral und Idealismus hängen nicht von der sozialen Herkunft beziehungsweise Schicht oder der West-Ost-Zuordnung ab. Das habe ich immer be­tont. Nicht die große oder ge­ringe Zahl entscheidet, sondern die den Aufgaben entsprechende. Wo die Bewerber zwischen einem zivilen und militärischen Arbeitgeber wählen können, gehen sie deutlich seltener zur Bundeswehr. Das gilt für Ober-, Mittel- und Unterschichten.

Wie sollte die Bundeswehrreform denn angegangen werden?

Was wollen wir? Was müssen und brauchen wir für die künftige Bundeswehr, sprich: für Deutschland? Diese Fragen müssen zuerst beantwortet werden. Daraus ist der Rest abzuleiten. Wer nicht weiß, was er will, weiß nicht, was er machen soll und kann. Der neue Minister (Thomas de Maizière) ist ein kluger und kühler Kopf, auch ein er­fahrener Politiker. Ich bin zu­versichtlich, dass er so vorgeht.