Essen. Eine Zeit lang aussteigen, etwas zurückgeben, sich testen, vielleicht einmal etwas ganz anderes machen: Tausende junge Erwachsene arbeiten für den Staat beim Bundesfreiwilligendienst oder beim freiwilligen Wehrdienst. Die einen bewähren sich sozial, kulturell oder für die Umwelt, die anderen unterstützen die Bundeswehr mit allem was dazu gehört samt Grundausbildung und im Zweifel – nach einem Jahr – einem Auslandseinsatz. Die Bundeswehrreform mit dem Aussetzen der Wehrpflicht und des Zivildienstes jährt sich am 1. Juli zum zweiten Mal.
Gerade in Zeiten des doppelten Abiturjahrgangs wollen viele Schüler nach der Schule erst einmal "Bufdi" werden. Der Bundesfreiwilligendienst ist für junge Frauen und Männer ungebrochen attraktiv - es gibt mehr Bewerber als Plätze. Rund 20.000 unter 27 Jahre helfen in sozialen Einrichtungen und Verbänden, hinzu kommen etwa weitere 15.000 Freiwillige aus der restlichen Bevölkerung über 27 Jahre.
Beim freiwilligen Wehrdienst engagieren sich etwa 10.500 Männer und Frauen. Zwei Jahre nach dem Aussetzen der Wehrpflicht ist die Zahl der Bewerber jedoch auf ein Rekordtief abgestürzt. Im laufenden Quartal haben nur 615 Freiwillige den Dienst angetreten, im April 2012 waren es noch 1460, im Oktober 2011 sogar 4458. Hinzu kommt: Viele Freiwillige bei der Bundeswehr brechen ihren Dienst innerhalb der sechsmonatigen Probezeit ab – jeder Vierte bis Dritte.
Beim Bundesfreiwilligendienst geht demgegenüber nur jeder Zehnte frühzeitig, bei den unter 27-Jährigen war es 2012 sogar nur jeder Zwanzigste.
Warum brechen viele den freiwilligen Wehrdienst in der Probezeit ab?
Manchem Freiwilligen bietet sich während seines Einsatzes eine Alternative in Form eines Studien- oder Ausbildungsplatzes. Marc Lürbke, NRW-Landtagsmitglied und Experte für die Streitkräfte der FDP, sagt: „Viele junge Menschen fahren mehrgleisig. Sie interessieren sich für den freiwilligen Wehrdienst, bewerben sich aber gleichzeitig auch um Studien- oder Ausbildungsplätze. Daher ist es normal, dass relativ viele nach kurzer Zeit aus dem Wehrdienst ausscheiden.“
Kritische Worte findet dagegen Paul Schäfer, Verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion die Linke im Bundestag: „Wehrdienstleistende werden häufig mit eintönigen Aufgaben betraut, im Gespräch mit anderen Soldaten konkretisieren sich auch die Themen Einsatzbelastung, Tod, Verwundung, mangelnde Fürsorge. Das alles wirkt demotivierend.“
Der wohl häufigste Grund für die vorzeitige Quittierung des Dienstes: Schulabgänger haben oft ein falsches Bild von der Bundeswehr. „Die Freiwilligen beim Wehrdienst sind nicht gut genug informiert“, sagt Hans Jürgen Weitzel, Berufsberater der Agentur für Arbeit in Essen. Das Bild der Bundeswehr sei häufig verzehrt, berichten auch Jan Meyer vom Deutschen Bundeswehrverband und Jochen Langenberg, Karriereberater der Bundeswehr. Langenberg betont darum: „Wir müssen nicht begeistern, sondern aufklären.“
Wie informiert die Bundeswehr über den freiwilligen Wehrdienst?
Bei wöchentlichen Informationsveranstaltungen versucht Hauptfeldwebel Jochen Langenberg Interessierten die „komplexe Bundeswehr“ zu erläutern. Unter anderem müsse dem Bewerber bewusst sein, dass der Arbeitgeber die Bundesrepublik Deutschland sei und dementsprechend auch der Einsatzort überall sein könne. Die übliche Grundausbildung gehöre dazu, ebenso kann auch nach einem Jahr ein Auslandseinsatz in Frage kommen. Auch die Unterbringung schrecke viele ab. „Es kann sein, dass Sie mit sechs Leuten auf einem Zimmer wohnen müssen“, so Langenberg. Schon nach dieser Info-Veranstaltung „springen viele ab.“
Wer weiterhin den freiwilligen Wehrdienst antreten möchte, der komme zu einem Einzelgespräch. Hier sei das Ziel herauszufinden, was der Bewerber möchte. Hat er keinen Ausbildungsplatz bekommen? Möchte er die Zeit bis zum Studium überbrücken? Strebt er eine Karriere bei der Bundeswehr an? Kann die Bundeswehr seinen Interessen entgegenkommen? Danach könne er am Bewerbungsverfahren teilnehmen. Für einen Einblick in den Berufsalltag biete die Bundeswehr außerdem schon für Schüler Truppenpraktika sowie Truppenbesuche an. Im Internet informiert die Website www.bundeswehr-karriere.de über das Angebot.
Wem empfehlen Berufsberater den Bundesfreiwilligendienst oder den freiwilligen Wehrdienst?
Grundsätzlich sei es zur persönlichen Entwicklung immer gut, etwas außerhalb der bekannten Umgebung zu tun, sagt Johannes Wilbert vom Institut zur Berufswahl in Wetter. Gerade der Bundesfreiwilligendienst schließe eine wichtige Lücke, um herauszufinden, wo persönliche Stärken liegen. In der Schule werde hauptsächlich die kognitive Intelligenz (Wissen) gefördert, weniger die praktische Intelligenz (intuitives Handeln) und die emotionale Intelligenz (Empathie). Wer herausfinden möchte, ob er hier ausgeprägte Stärken besitzt, habe beim Bundesfreiwilligendienst dazu eine gute Chance. Hans Jürgen Weitzel von der Bundesagentur für Arbeit in Essen erläutert ferner, dass der Bundesfreiwilligendienst für Einsteiger in soziale Berufe ein Startvorteil ist. Auf der Website www.bundesfreiwilligendienst.de informiert das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben über den Bundesfreiwilligendienst.
Die Motive für den Antritt beim freiwilligen Wehrdienst seien dagegen andere. Wilbert erläutert, insbesondere Männer entdecken bei sich selbst manchmal einen Hang zur Bequemlichkeit und wünschen sich mehr Struktur im Alltag. Bei der Bundeswehr sehen sie hier eine Chance, dazuzulernen. „Dabei wollen diese Schulabgänger nicht unbedingt Berufssoldat werden und stehen häufig auch dem Kriegseinsatz skeptisch gegenüber.“ Die andere Gruppe, beschreibt Weitzel, „nutzt den freiwilligen Wehrdienst zum Einstieg und zur Orientierung bei der Bundeswehr.“ Auch die „Dimension Sport bei der Bundeswehr“ sei für viele Bewerber attraktiv.
Wem raten die Berufsberater vom Bundesfreiwilligendienst oder dem freiwilligen Wehrdienst ab?
Wer ein festes Ziel vor Augen und sehr leistungsorientiert ist, vielleicht sogar schon einen Platz für einen interessanten Studienplatz in der Tasche hat, sollte sich gegen den freiwilligen Wehrdienst oder den Bundesfreiwilligendienst entscheiden, empfehlen die Berufsberater.
Der freiwillige Wehrdienst sei außerdem nichts für jemanden „der Sicherheit sucht“, so Johannes Wilbert vom Institut zur Berufswahl. Er vermittle zwar zunächst durch eine gute Bezahlung, Versorgung und Weiterbildungsangebote ein Bild der Sicherheit. Wilbert: „Dieser Arbeitsbereich ist aber vollkommen unsicher.“ Wer bei der Bundeswehr arbeitet, muss sich immer bewusst sein, dass er auch zum Einsatz ins Ausland geschickt werden kann und seine Gesundheit in Gefahr bringt. Auch wer sich selbst verwirklichen möchte, verlässt nach Einschätzung Wilberts die Bundeswehr vermutlich wieder schnell. „Viele wollen bei einem freiwilligen Einsatz herausfinden, worin sie gut sind. Das ist bei der Bundeswehr aber problematisch.“ Befehl und Gehorsam gehörten nun mal zur Bundeswehr dazu. Viele würden die Fremdbestimmung aber ablehnen.