Düsseldorf. NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP) stellt im Interview erste Lockerungen in Aussicht. An eine schnelle Kita-Öffnung denkt er aber nicht.
„Wir verlangen den Bürgern brutal viel ab“ hat Joachim Stamp, Vize-Ministerpräsident und NRW-Familienminister, in der Coronakrise gesagt. Nun aber denkt der FDP-Landesvorsitzende im Gespräch mit Matthias Korfmann über mögliche Lockerungen der Regeln nach.
Herr Stamp, der Ruf nach Lockerungen wird lauter. Am Mittwoch wollen die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten klären, wie es weitergehen soll. Was schwebt Ihnen vor?
Joachim Stamp: Oberste Priorität muss der Infektionsschutz und die Eindämmung der Ausbreitung des Virus haben. Nur unter der strikten Einhaltung dieser Maßgaben können wir in NRW in den kommenden Wochen schrittweise Öffnungen ermöglichen. Die Hygieneregeln, die in Supermärkten, in Tankstellen und Baumärkten von Verkäufern und Kunden meist penibel eingehalten werden, müssten dabei von Handel, Gewerbe, Gastronomie ebenso präzise umgesetzt werden.
Ab wann sind Lockerungen denkbar?
Stamp: Ich kann und will den Gesprächen am Mittwoch nicht vorgreifen. Ein normaler Betrieb wird sowohl in NRW als auch in ganz Deutschland in keinem Sektor möglich sein. Es braucht überall verantwortliche Vorbereitung, um weiter konsequent Regeln zum Infektionsschutz einzuhalten. Wenn aber ein Geschäftsinhaber in der Lage ist, die Distanz- und Hygienevorschriften einzuhalten, sollte er bald die Chance haben, zu öffnen. Das bringt in verschiedenen Branchen unterschiedliche Herausforderungen. In Gaststätten muss etwa garantiert sein, dass sich niemand über Gläser infizieren kann. Das Gebot des Infektionsschutzes steht über allem. Und da gibt es viele Möglichkeiten.
Zum Beispiel?
Stamp: Wenn es genügend Schutzmasken gibt, sollten wir über eine Maskenpflicht im Nahverkehr nachdenken. Wir müssen grundsätzlich darauf achten, dass Öffnungen nicht dazu führen, dass Busse und Bahnen überfüllt sind. Auch in anderen Bereichen, in denen Menschen dicht beisammen sind, können Schutzmasken sinnvoll sein. Jede Branche hat individuelle Herausforderungen. Beispiel Fahrschulen: Fahrlehrer-, Schüler und Prüfer bräuchten sicherlich Masken. Eine Plexiglasscheibe könnte Schüler und Fahrlehrer trennen, wenn der TÜV das erlaubt. Da ist vieles denkbar. Die Hygiene und die Chancen, die sich aus ihr ergeben, kommen aber im Moment leider oftmals noch viel zu kurz.
Warum?
Die Chance, über massive Hygiene Ansteckung zu reduzieren und bei geringerer Virenkonzentration zu milden oder symptomfreien Verläufen zu kommen, wird zu wenig diskutiert. Der Fokus, einer leider auch von wissenschaftlichen und politischen Eitelkeiten beeinflussten Debatte, richtet sich beinahe ausschließlich um die Frage von Herdenimmunität und Sterblichkeitsrate. Wir müssen aber auch über Optimierung der Hygieneregeln sprechen. Denn die Menge der Viren bei einer Übertragung ist offenbar wesentlich für die Schwere der Erkrankung und die Frage, wie intensiv ansteckend jemand ist. Diese öffentliche Diskussion darüber kommt aus meiner Sicht bislang viel zu kurz.
Sollten sich Bund und Länder auf ein einheitliches Vorgehen verständigen?
Das wäre sinnvoll. Es geht nicht um die Frage, wer ist der Härteste oder der Freiheitlichste. Es geht allein um die nüchterne Frage, mit welchen Maßnahmen wir den meisten Schaden abwenden
Wann können die Kitas in NRW wieder öffnen?
Stamp: Ich halte es für ausgeschlossen, dass schon am kommenden Montag Schulen und Kitas wieder regulär öffnen. Wir sprechen mit den Kita-Trägern über einen Stufenplan. Dazu bereiten wir in diesen Tagen einen Maßnahmenkatalog für ein sicheres Beisammensein zwischen Kindern und Erzieherinnen und Erziehern vor. Darin geht es um Hygieneregeln, die mit den Kindern eingeübt werden müssen, zum Beispiel das Händewaschen und dass man einem anderen Kind nicht ins Gesicht fassen darf. Wir diskutieren darüber, dies zunächst mit den älteren Kindern einzuüben und dann jahrgangsweise zu erweitern. Eventuell könnten wir Ende des Monats damit beginnen, aber nur unter der Voraussetzung, dass die Umsetzung der Hygienemaßnahmen bis dahin gewährleistet werden kann.
Am Sonntag wurde in Köln eine Demonstration aufgelöst. War das in Ordnung?
Stamp: Ja, zum jetzigen Zeitpunkt ist das leider so. Aber es muss jetzt geprüft werden, mit welchen Hygiene- und Abstandsregeln Demonstrationen erlaubt werden können. Wir dürfen ein so elementar wichtiges Grundrecht nicht dauerhaft aussetzen. Dann nimmt der liberaler Rechtsstaat dauerhaft Schaden. Das gilt auch für die Religionsfreiheit. Auch hier sollten bei Einhaltung von Hygiene- und Abstandsregeln bald wieder Gottesdienste möglich sein.
Zur Person:
Dr. Joachim Stamp (49) ist stellvertretender NRW-Ministerpräsident und Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration. 2017 wurde er Nachfolger von Christian Lindner im Amt des FDP-Landesvorsitzenden. Stamp wurde in Bad Ems geboren, lebt in Bonn, ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Er studierte Politik, Philosophie und Religionswissenschaften an der Uni Bonn und promovierte an der Uni Potsdam. Der FDP gehört er seit 1987 an.