Washington.. Die Mehrheit der US-Bürger lehnt nach Umfragen eine Einmischung in Syrien ab. Präsident Obama wirbt unterdessen bei Abgeordneten und Senatoren mit grausigen Videos um Zustimmung für einen Militärschlag.
Gemessen an dem „eng begrenzten“ Militärschlag, der das syrische Regime von weiterem Giftgasgebrauch gegen die eigene Bevölkerung abhalten soll, gleichen die Vorbereitungen der USA einer Großoffensive. Bevor Präsident Barack Obama sich am Dienstagabend in einer Rede an die Nation wendet, hat das Weiße Haus am Montag einen Interview-Blitzkrieg in sechs Fernsehsendern angesetzt. Parallel werden alle 530 Kongressabgeordneten einer Einzelbehandlung unterzogen. So intensiv hatte sich Obama zuletzt um die öffentliche Meinung und die des Parlaments gekümmert, als seine Gesundheitsreform zu kippen drohte.
Parlamentarier zweifeln
Stand heute ist ein Scheitern Obamas bei dem Versuch, den Kongress für eine militärische Strafaktion in Syrien zu gewinnen, realistisch. Für ein Ja benötigt der Präsident 217 der 433 Abgeordneten im Repräsentantenhaus. Sowie 51 von 100 Mitgliedern des Senats. Derzeit haben sich insgesamt erst 60 Politiker in beiden Kammern dafür, aber 180 definitiv gegen einen Einsatz ausgesprochen. Über 200 sind nach Zählappellen des Internetportals „Politico“ unentschlossen.
In Einzelgesprächen und Telefonaten sollen sie in den nächsten Tagen von der Sinnhaftigkeit von Raketenangriffen auf syrische Militäreinrichtungen überzeugt werden. Emotional werden die Abgeordneten durch bislang geheime Videos über die Giftgasattacken vom 21. August nahe Damaskus unter Druck gesetzt. Darin sind Kinderleichen und Helfer bei erfolglosen Wiederbelebungsversuchen zu sehen. Auf dem politischen Hochparkett wird Obama in eine andere Kerbe hauen, sagen seine Berater. „Wenn wir Assad nicht bestrafen, werden Nordkorea, der Iran und andere den Respekt vor international gültigen Normen verlieren. Und vor Amerika.“ Argumente, die bisher nicht verfangen. Laut Umfragen lehnt eine Mehrheit der Amerikaner ein Engagement in Syrien ab.
„Wut-Welle“ in den Wahlkreisen
Wie groß die Widerstände sind, zeigt exemplarisch der Abgeordnete Alan Grayson. Der Demokrat aus Florida berichtete wie viele seiner Kollegen von einer „Wut-Welle“ in den örtlichen Wahlkreisbüros. „Viele Bürger wollen nicht, dass Amerika im Ausland in einen neuen Konflikt hineingezogen wird. Sie zweifeln an dem militärischen Zweck. Sie misstrauen der Regierung, die von einem limitierten Einsatz spricht.“ Grayson sagt: „Ich stimme mit Nein.“
Doch die Meinungen im Kongress sind gespalten. Während etliche Abgeordnete gegen jede Intervention in Syrien sind, verlangen einflussreiche Republikaner wie der frühere Präsidentschaftskandidat John McCain einen Einsatz, der den Sturz des Assad-Regimes zum Ziel haben müsse. Mindestens aber die massive Stärkung der Rebellen. Die Vertrauenswürdigkeit der zerstrittenen Opposition in Syrien, in der das Terrornetzwerk Al-Kaida an Boden gewinnt, ist aber stark in Misskredit geraten.
Europa zögert
Mit Spannung wird erwartet, welche Bedeutung Obama der Abstimmung im Kongress beimisst. Gibt er im Falle einer Niederlage trotzdem den Befehl zum Militärschlag (was er als Oberbefehlshaber rechtlich darf), hat er den Kongress für die letzten drei Jahre seiner Amtszeit „wie eine Würgeschlange am Hals“, meint die „Washington Times“. Ginge ein im Alleingang angeordneter Angriff schief, sprich: löste die Strafaktion Vergeltungsmaßnahmen des Assad-Regimes in der Region aus, was ein noch massiveres Eingreifen der USA verlangen würde, käme Obama um ein Amtsenthebungsverfahren kaum herum, heißt es.
In dieser Lage hat die Regierung in Washington zuletzt stark auf internationale Unterstützung gesetzt, um im Inland „den Widerwillen vor einem neuen Krieg“ (Washington Post) aufzuweichen. Nachdem es beim G20-Gipfel in St. Petersburg nicht funktioniert hat, lag das Augenmerk auf dem Treffen der Außenminister der Europäischen Union in Vilnius. Das Ergebnis fällt „zwiespältig“ aus.
Die EU machte sich zwar die US-Position zu eigen, dass Assad für die Giftgasangriffe verantwortlich ist. Aber: Auf Initiative des einzig bislang waffenbereiten Bündnisgenossen Frankreich soll vor jedweder Aktion gegen Syrien das Ergebnis der Untersuchungen der UN-Inspektoren abgewartet werden, die frühestens Ende der Woche Resultate vorlegen. Ob Obama so lange warten will, ließ Außenminister Kerry indes offen.