Bochum. Hunderte Ermittler arbeiten an dem Fall der Zwickauer Neonazi-Zelle. Doch bislang warten sie vergeblich auf eine Aussage der Hauptverdächtigen. SPD-Chef Gabriel fordert deshalb ein milderes Strafmaß, wenn die aussagt. Derweil wird klar: Das Netzwerk der Neonazis war größer als gedacht.
Bei der Aufklärung der Morde der rechtsterroristischen Gruppierung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) fordert SPD-Chef Sigmar Gabriel eine Kronzeugenregelung für die festgenommene Tatverdächtige Beate Zschäpe. Die Thüringerin müsse aufklären, mit welchen staatlichen Stellen die Gruppierung in Kontakt gestanden habe, sagte er am Samstag auf einer Konferenz der Ruhrgebietsgruppe seiner Partei in Bochum. Zugleich sprach er sich für ein Verbot der NPD aus.
Allerdings warten die Ermittler bislang vergebens auf die Aussage der verdächtigen Beate Zschäpe. Ihr Anwalt Wolfgang Heer hatte am Freitag erklärt, er habe seiner Mandantin geraten, "zunächst keine Erklärungen zur Sache abzugeben". Nach Angaben von Focus ermitteln mittlerweile rund 400 Beamte in dem Fall.
Mittlerweile wird deutlich, dass die Zwickauer Terrorzelle über ein größeres Netzwerk verfügte, als bislang angenommen. Der Thüringer Verfassungsschutz geht mittlerweile von etwa 20 Unterstützern aus, die den Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe im Untergrund halfen. Nach "Spiegel"-Informationen hatte die Behörde Ende der neunziger Jahre selbst mindestens drei V-Leute im Umfeld des Trios geführt. Neben dem Kopf des Thüringer Heimatschutzes, Tino B., Deckname "Otto", habe zu den Informanten des Geheimdienstes auch der Chef der Thüringer Sektion der Organisation "Blood & Honour" gehört. Trotzdem gelang es später nicht, das untergetauchte Neonazi-Trio aufzuspüren.
Merkel: "Hätte etwas anders laufen müssen?
Die Pannen bei der Fahndung nach rechtsextremen Gewalttätern sollen nun politische Konsequenzen nach sich ziehen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verlangte am Samstag eine bessere Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) will der Bundesanwaltschaft mehr Kompetenzen übertragen. Der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, sah sich genötigt, den Vorwurf eines Total-Versagens der Sicherheitsbehörden in der Neonazi-Mordserie zurückzuweisen.
Merkel sagte in ihrem veröffentlichten neuen Video-Podcast, es mache sie nachdenklich, dass die Suche nach den Tätern jahrelang erfolglos geblieben sei. "Hätte etwas anders laufen müssen? Was könnte besser gemacht werden?", fragte die Kanzlerin. Es sei wichtig, dass Bund und Länder jetzt darüber im Gespräch seien. "Ich möchte nie wieder, dass ein Geheimdienst Vollzugsbefugnisse bekommt. Aber informieren müssen sich die Behörden natürlich untereinander. Hier werden wir genau hinschauen, ob wir etwas aus den Vorgängen lernen müssen", sagte Merkel.
Friedrich forderte im "Spiegel", die Bundesanwaltschaft müsse leichter die Ermittlungen an sich ziehen können, wenn etwa Fälle schwerer Kriminalität Landesgrenzen überschreiten. Damit solle verhindert werden, dass Staatsanwaltschaften der Länder wie im Fall der Neonazi-Terroristen den größeren Zusammenhang einer Verbrechensserie übersehen.
Reformbedarf sieht Friedrich auch bei der Datenspeicherung. Bislang speichert der Verfassungsschutz Angaben über Verdächtige noch fünf Jahre. "Das ist zu kurz", sagte Friedrich. Der Minister will künftig zudem bei den Speicherfristen nicht mehr zwischen gewalttätigen und anderen Extremisten unterscheiden, wie dies bislang geschieht.
Zwickauer Gruppe "völlig atypisch"
BKA-Präsident Jörg Ziercke nahm die Sicherheitsbehörden in Schutz. Die Zwickauer Gruppe habe sich "völlig atypisch" verhalten, indem sie schwerste Gewalttaten verübte, ohne sich dazu zu bekennen. Dieser Umstand und die verdeckte Lebensweise seien für politisch motivierte Kriminalität von Rechts "bislang einmalig". Ziercke räumte zugleich ein, dass dem BKA bis zuletzt "weder Erkenntnisse zu rechtsterroristischen Organisationen oder Strukturen in Deutschland noch Anzeichen für derartige Anschläge aus der rechtsextremen Szene" vorlagen.
Den Vorwurf, der Fall stelle eine Bankrotterklärung des föderalen Systems dar, wies Ziercke zwar zurück: "Auch zentralistisch organisierte Strukturen haben ihre Nachteile". Gleichwohl müsse man aber fragen, ob "wir bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus beziehungsweise des Terrorismus grundsätzlich richtig aufgestellt sind". Nach der Enttarnung der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) ermitteln derzeit rund 400 Polizeibeamte aus Bund und Ländern im Fall der Zwickauer Zelle.
Die Grünen forderten derweil ein 50-Millionen-Euro-Programm gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. "Wir brauchen eine Verstetigung und den Ausbau der bestehenden Projekte", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer Volker Beck in Berlin. Kritik äußerte er an Familienministerin Kristina Schröder (CDU). Diese beteilige sich an einem "ideologischen Kampf der Konservativen, rechten Terror und linke Gewalt gleichzusetzen".