Essen. Integration und Energiewende: Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski, Sprecher der Ruhr-SPD, sieht das Revier vor neuen Herausforderungen.

Das Ruhrgebiet steht im neuen Jahr vor großen Herausforderungen. Viele Städte sind überschuldet, die vielen Zuwanderer und Flüchtlinge müssen menschenwürdig untergebracht werden. Wir sprachen darüber mit dem Sprecher der Ruhr-SPD, Frank Baranowski.

Herr Baranowski, war 2014 ein gutes Jahr für das Ruhrgebiet?

Frank Baranowski: Es war ein Jahr mit Gegenwind. Keiner hat zum Beispiel geahnt, dass so viele Flüchtlinge und EU-Zuwanderer kommen, die unsere Städte vor Herausforderungen stellen. Dazu kommt die Energiewende, die unserer Region schon wieder den nächsten harten Strukturwandel beschert. Das Ruhrgebiet hat in diesem Jahr in Berlin und Düsseldorf seine Interessen sehr deutlich gemacht. Dort hat man hoffentlich verstanden, dass man uns nicht vernachlässigen darf.

Wie geht das Ruhrgebiet mit der Zuwanderung um?

Baranowski: Integration gelingt dann, wenn wir Zuwanderung als Chance begreifen und nutzen. Allerdings: Die Dimension hat uns schon überrascht. In Gelsenkirchen leben mittlerweile 4300 Migranten aus Südosteuropa. Wir haben immer gedacht, wir sind eine schrumpfende Region. Nun haben sich die Vorzeichen leicht verändert.

Macht Ihnen der "Pegida"-Protest Sorge?

Baranowski: Ja, weil das Hinterherlaufen hinter „rechten Rattenfängern“ unsere Demokratie und das gesellschaftliche Miteinander gefährdet. Das Ruhrgebiet ist tolerant. Wir sind es gewohnt, Menschen zu integrieren. Aber man muss Befürchtungen ernst nehmen. Ins Revier ziehen nicht viele ausländische Fachärzte oder Ingenieure, dafür viele Menschen aus bitterster Armut. Wir sorgen dafür, dass sich die Neubürger an Recht und Gesetz halten. Und denen, die sich daran halten, machen wir ein Integrationsangebot: Schule, Kitas, Sprachkurse. Wir gehen auch rigoros gegen Schrottimmobilien vor.

Welche Herausforderungen sehen Sie darüber hinaus?

Baranowski: Die Energiewende ist noch nicht bis zum Ende gedacht. Insbesondere NRW bekommt die Folgen zu spüren. Das geht einher mit einbrechenden Gewerbesteuern. Das führt dazu, dass den Kommunen Geld fehlt. Die kommunalen Unternehmen, insbesondere unsere Stadtwerke, übernehmen mehr und mehr Aufgaben und spüren aber selbst die finanziellen Folgen der Energiewende. Das ist keine gute Kombination. Industrie, Mittelstand und damit auch Arbeitsplätze hängen am Faktor Energie. Es darf nicht sein, dass wir aus NRW Solaranlagen auf bayrischen Bauernhöfen finanzieren.

Der Regionalverband Ruhr (RVR) soll mehr Kompetenzen bekommen. Dagegen regt sich Protest aus dem Umland.

Baranowski: Einen so massiven Protest aus Westfalen – nach dem Motto: Was wir nicht dürfen, darf auch kein anderer – hätte ich nicht erwartet. SPD, CDU und Grüne im Revier wollen mehr Zusammenarbeit in der Region. Andere  können das ja auch machen, wenn sie wollen.

Braucht das Ruhrgebiet  einen stärkeren Regionalverband?

Baranowski: Der RVR ist die einzige Klammer für das Ruhrgebiet. Die Industrie- und Handelskammern, die gegen das RVR-Gesetz protestieren, sind keine Klammern für unsere Region. Die Landschaftsverbände auch nicht. Ich laufe oft am Rhein-Herne-Kanal Richtung Essen. Dann überquere ich die Grenze Westfalen/Rheinland, aber ich habe sie noch nie gespürt.

Das Bewusstsein, Revierbürger zu sein, ist aber nicht ausgeprägt. Im Gegenteil, gerade kommen  Nummerschilder wie „WAT“ und „CAS“ wieder in Mode.

Baranowski: Die Menschen wohnen in Essen, arbeiten in Gelsenkirchen und gehen in Bochum ins Schauspielhaus. Sie nutzen die Vorteile des Ballungsraumes. Wir sind im Ruhrgebiet eine Schicksalsgemeinschaft. Jeder Ego-Trip geht zu Lasten der anderen. Der Nahverkehr ist zum Beispiel ein Thema, das alle angeht. Es gibt auch Überlegungen, Städte übergreifend Gewerbegebiete auszuweisen und die Gewerbesteuern aufzuteilen.