Düsseldorf. Bald wieder Versetzungsentscheidungen. “Blaue Briefe“ gibt es nicht. Gymnasialeltern rechnen mit der Schulpolitik des Landes ab.
Schüler in NRW mit schlechten Noten müssen damit rechnen, am Ende des laufenden Schuljahres sitzen zu bleiben. Laut einem Kabinettsbeschluss plant die Landesregierung in diesem Jahr die Rückkehr zu Versetzungsentscheidungen. „Das ist eine Entscheidung im Sinne der Schüler“, sagte NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) am Mittwoch.
Laut Schul-Staatssekretär Mathias Richter (FDP) ist dies möglich, weil die meisten Schüler bis zu den Weihnachtsferien im Präsenzunterricht gewesen seien, und weil es jetzt klare Regeln für den Distanzunterricht gebe.
Keine "Blauen Briefe"
NRW plant zudem „erweiterte Nachprüfungsmöglichkeiten“. Außerdem könnten Kinder das Schuljahr „freiwillig“ wiederholen, ohne dass sich dies auf die Höchstverweildauer auf der Schule auswirke. Im Abitur gibt es zusätzliche Vorbereitungszeit, und der Abitur-Aufgabenpool wird erweitert. „Blaue Briefe“ müssen die Kinder und Jugendlichen in diesem Jahr übrigens nicht befürchten. Das bedeutet, dass schlechte Leistungen aus dem zweiten Halbjahr in einem Fach nicht berücksichtigt werden.
Im Entwurf für ein „Bildungssicherungsgesetz“ stehen neben den Versetzungsregeln weitere Punkte: So soll am Ende der Erprobungsstufe zwar die Klassenkonferenz die Leistungen bewerten. „Ausnahmsweise“ entscheiden aber die Eltern „nach Beratung durch die Schule“, ob der Schüler weiter diese Schule besucht. Bei den schriftlichen Prüfungen der 10. Klassen in Deutsch, Mathe und Englisch gibt es in diesem Jahr wieder landeseinheitliche Aufgaben.
Neustart der Schulen laut Ministerin Gebauer "gut gelungen"
„Unser Ziel sind bundesweit anerkannte Schulabschlüsse unter fairen Bedingungen“, erklärte Gebauer. Der Neustart der Schulen nach langem Distanzunterricht ist ihrer Meinung nach „gut gelungen“. Die Teil-Öffnung sei ein „richtiger Schritt für die Jüngsten und für die Schüler der Abschlussklassen“.
Das Kontrastprogramm zu Gebauers Optimismus bot am Mittwoch die Landeselternschaft der Gymnasien (LEGY). „Seit elf Monaten gibt es in der Schulpolitik eine Operation am offenen Herzen, aber keinen Plan, wie man den Patienten vom Tisch holen kann“, sagte Vorstandsmitglied Franz-Josef Kahlen im Landtag.
Viele Eltern sind "am Limit"
Der Verband hatte Ende Januar Schulleiter und Gymnasialeltern befragt. Zu den häufigsten Klagen in Pandemiezeiten gehören demnach die über Wissenslücken. 40 Prozent der mehr als 40.000 befragten Eltern erklärten, diese Lücken seien groß. Nur etwa elf Prozent der Eltern beobachten keine pandemiebedingten Defizite bei ihren Kindern. Nahezu 30 Prozent der Eltern mit Kindern in der 5. Klasse gaben an, sich „nahe am Limit“ zu fühlen. Fast zwei Prozent der Befragten erklärten, sie wollten ärztliche oder psychologische Hilfe für ihre Kinder suchen. „Wir reden da über mehrere tausend Kinder in NRW. Das erschreckt mich sehr“, sagte Kahlen.
Die Elternschaft der Gymnasien fordert wegen der Wissenslücken eine Lernstandserhebung im Frühsommer für alle Jahrgänge. Daraus könne abgeleitet werden, welche Förderung die Kinder neben dem regulären Unterricht benötigten, zum Beispiel in den Ferien.
Rektoren: Verzicht aufs Sitzenbleiben würde Schüler in "falscher Sicherheit" wiegen
Der Verzicht auf eine „automatische Versetzung“ dürfte im Sinne vieler Rektoren sein. Eine Mehrheit unter den 224 befragten Gymnasialdirektoren gab an, eine garantierte Versetzung würde viele Schüler in einer „falschen Sicherheit“ wiegen würde. Elf Prozent der befragten Eltern halten das Sitzenbleiben ihres Kindes für eine „ernst zu nehmende Option“, 20 Prozent schließen dies nicht aus, so der Verband.
Dass Abschlussklassen in voller Stärke wieder in Präsenz unterrichtet werden können, sieht der Elternverband sehr kritisch. Überhaupt sei in NRW nie ein durchdachtes Konzept für den Abstandsunterricht entwickelt worden, sagte LEGY-Vorsitzende Jutta Löchner. Wechselunterricht sei nicht die beste Lösung, findet sie. „Besser wäre es, alle Schüler vormittags und nachmittags mit kürzeren Präsenzzeiten in der Schule zu unterrichten.“
Beim Distanzunterricht sei noch viel Luft nach oben, meinen die Eltern. Es fehle ein überzeugendes didaktisches Konzept dafür. Viele Lehrer wüssten gar nicht, wie viel Stoff die Kinder in der Distanz tatsächlich gelernt hätten.
Schulleitungsvereinigung fordert schnelle Impf-Angebote für alle Lehrer
Die Schulleitungsvereinigung NRW fordert, nicht nur Grundschullehrer, sondern Lehrer aller Schulformen früher als geplant zu impfen. „Dies wären erste Schritte auf dem Weg zu einer Normalisierung des Schulbetriebs“, so Vorsitzender Harald Willert. Er hoffe auf ein baldiges Ende der „Planlosigkeit“ der NRW- Schulministerin.