Essen. Der Bund will ein befristetes 9-Euro-Ticket für den ÖPNV einführen. Den Ländern ist das zu kompliziert. Sie wollen den Null-Tarif.

Heftige Kontroverse um das von der Bundesregierung als Teil des Energie-Entlastungspaketes geplante 9-Euro-Ticket für den Nahverkehr: Insgesamt stößt die Initiative des Bundes zwar auf ein überwiegend positives Echo. Umstritten bleibt allerdings, wie die Einführung eines ÖPNV-Monatstickets für 90 Tage für nur neun Euro in der Praxis aussehen soll. Die Verkehrsminister der Länder schlagen sogar vor, den ÖPNV für drei Monate gleich ganz zum Nulltarif fahren zu lassen. Der Verwaltungsaufwand für ein Neun-Euro-Ticket sei zu hoch, hieß es nach der Verkehrsminister-Konferenz am Freitag.

Verkehrsminister tagen

Für wen gilt das als Entlastung der Bürger für die gestiegenen Energiekosten geplante Ticket und ab wann? Was bedeutet das auf drei Monate befristete Angebot für ÖPNV-Kunden, die bereits über Monatstickets verfügen und dafür in der Regel deutlich mehr bezahlen? Wie werden die erwartbaren finanziellen Ausfälle der Verkehrsbetriebe und -Verbünde kompensiert? Über diese Fragen diskutierten die Verkehrsminister der Länder auf ihrer turnusmäßigen Sitzung am Freitag stundenlang. Denn auch sie waren von dem Vorstoß der Ampel-Koalition am Donnerstag offenbar kalt erwischt worden.

Auch Dauerticket-Besitzer sollen profitieren

Bundesverkehrsminister Volker Wissing stellte nach der Sitzung klar: Den Ländern werden die durch die Maßnahme entstehenden Mehrkosten vom Bund voll erstattet. Er bezifferte die Einnahmeausfälle für die Verkehrsunternehmen auf 2,5 Milliarden Euro. Und: Auch Abonnenten von Dauertickets sollen uneingeschränkt in den Genuss des Angebots kommen, notfalls über eine entsprechende Rückerstattung oder ein Aussetzen ihrer Abo-Zahlungen, sagte Wissing.

Start am 1. Mai denkbar

Als Ziel für den Start des Sondertickets bezeichnete Wissing den 1. Mai als "nicht unrealistische Option". Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll nun alle Detailfragen zeitnah klären. Den Länder-Vorschlag für einen befristeten Null-Tarif lehnte der FDP-Politiker freilich ab. Die Entscheidung des Ampel-Koalitionsausschusses sei in dieser Sache klar, so Wissing. Außerdem sei beim Null-Tarif eine Steuerung der erwartbar höheren Fahrgastzahlen nicht mehr gesichert.

Geltungsbereich "verbundweit"

Wissing regte an, das 9-Euro-Ticket ausschließlich digital anzubieten. Die sei der einfachste Weg. Diskussionsbedarf gibt es auch in der Frage, wie weit das stark verbilligte Ticket räumlich gelten soll. Laut Wissing soll es "verbundweit" gültig sein. Für Kunden des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr wäre das ein gewaltiger Gewinn. Sie könnten dann beispielsweise von Dortmund bis Düsseldorf mit Bussen und Bahnen so konkurrenzlos günstig unterwegs sein wie noch nie. Zum Vergleich: Das Ticket 1000 in der höchsten Preisstufe D (gültig für das gesamte Verbundgebiet) kostet pro Monat derzeit 171 Euro im Abo, ohne Dauerbindung sogar fast 194 Euro. Für 90 Tage bezahlt man demnach derzeit fast 600 Euro. Das Problem: In anderen Bundesländern sind Verkehrsverbünden zum Teil deutlich kleiner. Einige Länderminister warnen daher vor Ungerechtigkeiten.

Verkehrsverbund begrüßt Initiative

Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) zeigte sich am Freitag offen für die Bundesinitiative. „Wir begrüßen, dass die Koalition gezielt auch auf den ÖPNV setzt“, sagte ein VRR-Sprecher auf Nachfrage. Der Verbund werde die Initiative der Ampel-Koalition für ein neun-Euro-Ticket unterstützen. Nun müssten Details zu den Rand- und Rahmenbedingungen geprüft und die Umsetzung in der Praxis geklärt werden. Sobald dies geschehen ist, will der VRR seine Kunden informieren.

Verkehrsbetriebe warten ab

Abwartend auch die Reaktionen der Verkehrsbetriebe. „Zum aktuellen Zeitpunkt sind uns hierzu keine weiteren Informationen bekannt. Ab wann und in welcher Form das sogenannte Neun-Euro-Ticket realisiert wird und auch, inwiefern die Umsetzung bei Abo-Kunden erfolgen soll, können wir daher zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht sagen“, erklärte Christoph Kollmann, Sprecher der Bogestra gestern auf Anfrage.

Christoph van Bürk, Sprecher der Vestischen Straßenbahn Gesellschaft, betonte, dass es noch zahlreiche Details zu klären gebe. „Nach dem jetzigen Informationsstand würden unsere Kunden mit einem bestehenden Abonnement schlechter gestellt. Das darf aus unserer Sicht aber nicht so sein“, so van Bürk.

Land NRW fordert volle Kostenübernahme

Auch die Dortmunder Stadtwerke (DSW21) können zur Umsetzung noch nichts Konkretes sagen. Noch seien viele Detailfragen zum Neun-Euro-Ticket zu klären. „Sobald dies geschehen ist, wird DSW21 umfassend über alle Kanäle dazu informieren. Dies wird aber sicherlich noch etwas Zeit in Anspruch nehmen“, teilte das Unternehmen mit.

Verhalten positive Signale kamen auch vom Land NRW. "Ein zeitlich befristeter, bundesweiter Aktionstarif für das Bus- und Bahnfahren kann zur Senkung des Energieverbrauchs im Pkw-Bereich beitragen und zur Rückgewinnung von ÖPNV-Kunden im Zuge der Corona-Pandemie beitragen", teilte NRW-Verkehrsstaatssekretär Hendrik Schulte nach Abschluss der Ministerrunde mit. Der Bund müsse hierbei aber sämtliche Kosten für ein solches Angebot übernehmen, ebenso für die Organisation zur Umsetzung eines zeitlich begrenzten Aktionstarifs. 

Scharfe Kritik von Pro Bahn

Scharfe Kritik gab es indes vom Fahrgastverband Pro Bahn. Pro-Bahn-Sprecher Karl-Peter Naumann bezeichnete das 9-Euro-Ticket als „populistischen Schnellschuss“. Es sei sinnvoller, die Mittel in den Ausbau des ÖPNV zu investieren.