Berlin. Unternehmen ist es bislang freigestellt, ob sie ihre Mitarbeiter auf Corona testen lassen. Der Wirtschaftsgipfel berät nun über eine Testpflicht.
Die dritte Pandemie-Welle rollt über Deutschland hinweg. Um die Ausdehnung der Infektion besser in den Griff zu bekommen, soll schneller geimpft und mehr getestet werden. In vielen Bereichen des Alltags kommen Bürger an verpflichtenden Corona-Abstrichen nicht vorbei: Etwa bei Besuchen in vielen Pflegeheimen oder in vielen Regionen beim Shoppen. Ein Bereich ist bislang von einer solchen Pflicht ausgenommen: die Wirtschaft.
Selbst Beschäftigte, die im Alltag viele persönliche Kontakte haben, haben keinen Anspruch auf einen bezahlten Corona-Test. Viele Unternehmen erklären sich zwar freiwillig dazu bereit. Doch eine Pflicht dazu gibt es nicht.
Das sorgt zunehmend für Unmut. Gerade in Berufen, die sich nicht ins Homeoffice verlagern lassen, kann das Testen der Belegschaft bei der Eindämmung der Pandemie helfen. Auch beim Gipfeltreffen von mehr als 40 Branchenverbänden mit Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) an diesem Donnerstag sollen die Tests daher Thema werden.
Merkel und Heil wollen Tests notfalls verpflichtend machen
Die Politik will den Druck auf die Unternehmen erhöhen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat angekündigt, man müsse das Testen in den Betrieben „wahrscheinlich“ verpflichtend machen, da die Beteiligung der Unternehmen bisher zu gering sei. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) setzte vor wenigen Tagen nach: „Sollte sich in der Woche nach Ostern zeigen, dass in der Arbeitswelt nicht ausreichend getestet wird, werden wir es rechtlich verbindlich machen.“
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Die Frage ist, wie viel in den Betrieben tatsächlich getestet wird. Laut mehreren Spitzenverbänden der Wirtschaft sind es 64 Prozent der Betriebe, die Corona-Tests anbieten. Dazu kämen viele Betriebe, die das in Kürze tun wollten.
Die Autoindustrie präsentiert sich als stolzer Vorreiter – 75 Prozent der Unternehmen würden Schnell- und Selbsttests anbieten. Weitere 22 Prozent stünden unmittelbar davor, erklärt der Verband der Automobilindustrie. Die Bilanz der Böckler-Stiftung fällt anders aus: Nur 23 Prozent der Beschäftigten hätten in einer Befragung berichtet, dass alle Präsenzbeschäftigten in ihrem Betrieb mindestens einmal pro Woche einen Schnelltest machen könnten.
Bund und Länder entscheiden am Montag über Test-Pflicht
Nun erstellt die Bundesregierung eine eigene Erhebung, um zu bewerten, ob gesetzliche Vorgaben nötig sind. Vor der nächsten Corona-Schalte von Bund und Ländern am Montag sollen die Ergebnisse vorliegen, teilte das Arbeitsministerium mit. Die Bewertung solle die Grundlage bilden für eine Entscheidung der Bund-Länder-Runde, ob die Test-Pflicht für Betriebe kommt.
Die Wirtschaft will weiter auf Freiwilligkeit setzen. „Bevor Frau Merkel nach Gutsherrinnen-Art den Unternehmern neue Vorschriften macht, sollte sie sich über die Folgen im Klaren sein“, sagt der Chef des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW), Markus Jerger, unserer Redaktion. Unklar sei etwa, wo 60 Millionen Schnelltests pro Woche herkommen sollen.
„Die wichtigste Frage aber ist, wer trägt die Kosten von schätzungsweise einer Milliarde Euro im Monat?“, sagt Jerger. „Wir sind gespannt auf die Antworten aus dem Kanzleramt.“
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Gewerkschaften und Sozialpolitiker sind klar für die Pflicht
„Das Testen in den Unternehmen sollte zu einer gesetzlichen Verpflichtung werden, solange die Pandemie nicht bekämpft ist“, fordert dagegen Uwe Schummer, Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe der Union im Bundestag und Vize des CDU-Sozialflügels. Die meisten Firmen kümmerten sich zwar um die Gesundheit ihrer Beschäftigten, „aber es gibt immer Ausnahmen, die sich nicht an die Test-Empfehlungen halten“, sagt er unserer Redaktion.
Dadurch könnten rasch neue Ansteckungsrisiken entstehen. „Deshalb müssen wir die Zügel anziehen für diese Minderheit der Unternehmen, die den Empfehlungen nicht folgt“, fordert er. Lesen Sie hier: Covid-19 ist in Deutschland die häufigste Berufskrankheit
Der Deutsche Gewerkschaftsbund sieht es ähnlich. „Die Selbstverpflichtung allein reicht nicht. Testangebote müssen verpflichtend sein und die Kosten müssen von den Arbeitgebern getragen werden“, sagt Vorstandsmitglied Anja Piel auf Anfrage. Es könne nicht sein, dass sich Arbeitgeber „mit dem Totschlagargument von zu viel Bürokratie herausreden wollen“.
Wirtschaft möchte bei Entscheidungen mitsprechen – und eine „Post-Corona-Agenda“
Beim Gipfel mit Altmaier würde die Wirtschaft lieber über andere Themen sprechen. Das Gastgewerbe drängt nach sechs Monaten Lockdown auf eine Öffnung im Mai. Zudem würden zehn Prozent der Unternehmen im April noch auf November- und Dezemberhilfen warten, klagt Guido Zöllick vom Branchenverband Dehoga.
Der Handel erwartet „echte Fortschritte“ etwa beim Unternehmerlohn und drängt darauf, dass die Expertise der Wirtschaft bei den Entscheidungen „endlich eine angemessene Rolle“ spielt, sagt der Hauptgeschäftsführer des Verbands HDE, Stefan Genth.
Der Mittelstand möchte beim Gipfel noch einen Schritt weiter gehen, und mit Altmaier die Zeit nach Corona planen: BVMW-Chef Jerger kündigt eine „Post-Corona-Agenda“ an. Diese umfasse Forderungen nach einem innovations- und investitionsfreundlichen Abgabensystem, einem Regulierungsmoratorium und Bürokratieabbau, massiven Investitionen in moderne Infrastruktur sowie kürzeren Planungs- und Genehmigungsverfahren.