Berlin/Paris. CDU-Chefin und Kanzlerin denken über ein riesiges Rüstungsprojekt nach. Doch die Idee von einem Flugzeugträger ruft Skepsis hervor.
Wolfgang Hellmich (SPD) ist im Terminstress. Im Vorbeigehen antwortet der Abgeordnete: „Ich wäre bereits froh, wenn wir das MKS 180 zum Schwimmen brächten.“ MKS 180 ist das geplante Kampfschiff der Marine. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will vier davon für 5,27 Milliarden Euro anschaffen. Bis heute ist der Megaauftrag nicht vergeben – schon im Vorfeld liefen die Kosten aus dem Ruder. Ein paar Kampfschiffe, viel weiter reicht die Fantasie von Militärs, Ministerin oder von Wehrexperten wie Hellmich nicht.
Anders bei CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die in der vergangenen Woche einen europäischen Flugzeugträger ins Spiel brachten. Unsere Redaktion hat sich bei Militärs und Politikern umgehört, aber auch beim wichtigsten Partner: Frankreich. Die Skepsis überwiegt.
Fünf Gründe, warum Merkels Flugzeugträger vermutlich eine Vision bleiben wird:
Die Atomfrage
Moderne Flugzeugträger haben einen nuklearen Antrieb, so auch die „Charles de Gaulle“, der Stolz der französischen Marine. Das letzte deutsche Kernkraftwerk aber soll eigentlich spätestens im Jahr 2022 abgeschaltet werden. Die atomare Option – sei es nur für die Marine – wäre ein Paradigmenwechsel, der für eine CDU-Kanzlerin weder mit der SPD noch mit den Grünen zu machen wäre. Zwingend ist der Atomantrieb freilich nicht. Der kleine spanische Flugzeugträger „Juan Carlos I“ hat einen Diesel-Antrieb. Er ist auch die Blaupause für den Träger, den die Türkei in Auftrag gab.
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Das Personal
Ein klassischer Spruch der Marine lautet: „Träger frisst Flotte.“ Gemeint ist, dass eine schwimmende Landebahn unglaublich viele Kapazitäten bindet. Ein Flugzeugträger, mehr als 300 Meter lang, ist ein leichtes Ziel. Deswegen muss er geschützt werden. Selbst in Friedenszeiten wird er von mehreren Schiffen begleitet, von zwei bis vier Fregatten und Zerstörern, außerdem, von einem oder zwei U-Booten. Der Aufwand ist gewaltig.
Die „Charles de Gaulle“ hat 1750 Mann Besatzung und trägt 40 Kampfjets oder Bomber. Dazu kommt noch das Flugpersonal. Die USS „Gerald R. Ford“, das modernste Schiff der Amerikaner, trägt 75 Flugzeuge. Die reguläre Mannschaft kann 3000 Köpfe zählen. Zum Vergleich: Die Luftwaffe hat insgesamt nur 128 Eurofighter, von denen in den vergangenen Jahren im Schnitt 121 zur Verfügung standen.
Die deutsche Marine verfügt nur über neun Fregatten, von denen die meisten mehr als 20 Jahre alt und reparaturanfällig sind. Die Marine ist mit rund 16.000 Soldaten die kleinste Teilstreitkraft. Auch in der Zusammenarbeit mit anderen europäischen Staaten würde ein Flugzeugträger nahezu alle Kräfte der deutschen Marine binden. Derzeit verfügt sie nicht mal über einen Hafen, wo ein Schiff dieser Dimension – mit einem Tiefgang von zwölf oder mehr Metern – anlegen könnte. Die einzige Alternative wäre der zivile Container-Hafen in Wilhelmshaven.
Die Kosten
Die USS „Gerald R. Ford“ hat 13 Milliarden Dollar gekostet. Selbst wenn man einen kleinen Träger kauft und die Kosten mit seinen europäischen Partnern teilt, müsste die Bundeswehr Milliarden investieren. Dazu kämen die Betriebskosten inklusive Sold – auf See werden sie von den Amerikanern auf rund 2,5 Millionen Dollar pro Tag geschätzt.
Für den Verteidigungsetat 2020 bekommt von der Leyen 2,1 Milliarden Euro mehr, aber weniger, als sie gefordert hat. Sie wird deswegen jetzt schon Abstriche bei Rüstungsprojekten machen müssen. Ein Flugzeugträger würde einen sprunghaften Anstieg des Wehretats voraussetzen.
Der militärische Sinn
Das klassische Beispiel für den militärischen Vorteil eines Flugzeugträgers war der japanische Angriff auf Pearl Harbor, der von japanischen Schiffen aus gestartet wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren Flugzeugträger eine amerikanische Domäne – und eine Machtdemonstration.
1993 besuchte der damalige US-Präsident Bill Clinton die USS „Theodore Roosevelt“ und erzählte: „Wenn in Washington die Nachricht von einer Krise eintrift, ist es kein Zufall, dass die erste Frage, die jedermann über die Lippen kommt, lautet: Wo ist der nächste Flugzeugträger?“
Als der amtierende Präsident Donald Trump die USS „Gerald R. Ford“ in den Dienst stellte, tönte er, das Schiff sei „eine 100.000 Tonnen schwere Botschaft“. Wenn es am Horizont erscheine, „dann werden unsere Feinde vor Angst zittern“.
Machtlos sind sie indes nicht. Die Antwort der Chinesen sind Langstreckenwaffen, die einen Flugzeugträger treffen können. Die Riesen-Schiffe sind verwundbarer denn je, weil der technologische Trend zu manövrierfähigen Raketen mit vielfacher Schallgeschwindigkeit geht. „Dass wir dabei nicht über Science Fiction reden, zeigt die russische Ankündigung, erste Avangard-Systeme schon in diesem Jahr in den Dienst zu stellen“, warnt Außenminister Heiko Maas (SPD). Umso schwerer wird es dann aber auch, Flugzeugträger zu schützen.
Die Debatte
Kühl und zurückhaltend reagierte schon der Wunschpartner, den AKK und Merkel im Auge hatten: Frankreich. „Es gibt eine Vielzahl von Fragen“, sagte die französische Verteidigungsministerin Florence Parly unserer Partnerzeitung „Ouest-France“. „Handelt es sich um den Bau eines Flugzeugträgers, indem man europäische Industriekapazitäten zusammenlegt? Wären die Missionen in der Hand der Europäer? Wie sähe der Prozess aus?“
Während Parly Fragen stellt, hüllt sich ihre deutsche Kollegin von der Leyen in Schweigen. Eine Anfrage unserer Redaktion nach einer Stellungnahme wies sie ab. Zustimmung signalisiert CDU-Wehrexperte Henning Otte. „Europa braucht eine starke eigene Verteidigung. Dazu gehören auch strategische Fähigkeiten wie Flugzeugträger. Annegret Kramp-Karrenbauer hat also völlig recht, wenn sie diese europapolitische Forderung formuliert“, sagte er unserer Redaktion.
In den Augen der Opposition machen die zwei CDU-Frauen keine glückliche Figur. FDP-Wehrexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sagt unserer Redaktion, der Vorstoß der CDU-Chefin sei „eher aus dem Repertoire einer Büttenrede“. Merkel und AKK als politische Leichtmatrosen? Es sei „geradezu tragisch, dass die neue Vorsitzende der CDU offensichtlich von Dingen spricht, die ihre Vorstellungskraft übersteigen“, kritisiert Strack-Zimmermann.
Der Linken-Wehrexperte Matthias Höhn meint, „wenn über Monate kein einziges deutsches U-Boot fährt, klingt die Debatte um einen Flugzeugträger wie ein Witz auf Kosten von Frau von der Leyen.“ Der Grünen-Politiker Tobias Lindner wundert sich, dass AKK und Merkel über ein Vorhaben reden, „das in keiner ernsthaften Debatte über die deutsche Verteidigungspolitik oder das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr vorkommt“.
Lindner ahnt, worum es in Wahrheit geht: um ein symbolisches Projekt für Europa. Aber geht es nicht auch eine Nummer kleiner? Ein gemeinsames Segelschulschiff wäre im Vergleich „ein Schnäppchen“, sagt Lindner. „Es kann dann auch gerne Helmut Kohl heißen.“