An Rhein und Ruhr. Überraschende Empfehlung für mehr Windenergie: Platz für neue Anlagen sei zu einem Gutteil auf Waldflächen, so die Experten des LANUV.

Bis 2030 will NRW zwölf Gigawatt Strom pro Jahr aus Windenergie gewinnen. „Das ist theoretisch erreichbar, dafür muss man entschlossen und schnell planen und genehmigen“, so Thomas Delschen, Präsident des Landesinstituts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) anlässlich der Vorstellung der „Potenzialstudie Windenergie“, die das Institut im Auftrag des Wirtschaftsministeriums erstellt hat.

Indes: Die Suche nach Standorten, die nicht durch Siedlungen, Verkehrswege, Wasser- oder Naturschutzflächen ausgeschlossen sind, ist mühsam. Deswegen arbeitet das Institut mit zwei Szenarien: Mit dem „Restriktionsszenario“ und dem „Energieversorgungsszenario“. Und nur das zweite Szenario ermöglicht den Ausbau aufs angestrebte Niveau bei der Windenergie.

NABU: „Die Studie bestätigt schlimmste Befürchtungen“

Die Lösung liegt für das Lanuv dabei vor allem im Wald. Dort soll mehr als jede dritte Neuanlage entstehen. Schließe man Waldflächen generell aus, sei das Ziel nicht zu erreichen. Also sind „monostrukturierte Nadelwaldbestände“ und „Kalamitätsflächen“ eingeflossen – Waldflächen, die durch Stürme und Borkenkäfer geschädigt sind, sowie reine Nadelholznutzwälder.

Heide Naderer (Vorsitzende NABU NRW): Die Studie bestätigt schlimmste Befürchtungen. Der NABU plädiert, den Abstand zur Wohnbebauung zu verringern, statt Windräder auf Waldflächen zu installieren. .
Heide Naderer (Vorsitzende NABU NRW): Die Studie bestätigt schlimmste Befürchtungen. Der NABU plädiert, den Abstand zur Wohnbebauung zu verringern, statt Windräder auf Waldflächen zu installieren. . © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Für den NABU-NRW ein Unding. Die Studie bestätige „schlimmste Befürchtungen“, so die Landesvorsitzende Heide Naderer. Windenergie im Wald sei die letzte Option, wichtiger sei, dass die 1000-Meter-Abstandsregel zur Wohnbebauung falle. Sinke der Abstand nur um 260 Meter, stünden 25.000 Hektar mehr für Windkraft zur Verfügung, so der NABU.

160 bis 180 Anlagen müssen pro Jahr entstehen, soll das geplante Niveau 2030 erreicht sein - insgesamt rund 2400 Anlagen. Gleichzeitig fallen ähnlich viele, aber deutlich kleinere Altanlagen weg, so dass die Zahl der Windräder mit rund 3800 etwa auf dem Stand von heute bleibt. Das Ersetzen durch leistungsstärkere Modelle birgt nach Auffassung des Lanuv kaum Potenzial: die meisten vor 2010 gebauten Altanlagen fänden sich durch die neuen Abstandsregeln an Standorten, an denen sie nicht ersetzt werden können.

Platz, so Niklas Raffalski, der zuständige Abteilungsleiter des Lanuv, ist vor allem am Rand NRWs: das meiste Ausbaupotenzial bieten dasSieger- und Sauerland (rund 700 Anlagen), die Region um Paderborn und Höxter (ca. 550 Anlagen) sowie Eifel und Voreifel (164), das Rheinische Revier (ca. 230 Anlagen). Potenzial haben auch die Kreise Steinfurt (105) und Borken (35) und Kleve (19) und ein wenig auch im Kreis Wesel (3).

Der Präsident des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) ist sich des Rückenwindes für mehr Windkraft bewusst: „Der Krieg in der Ukraine ist für uns eine weitere Herausforderung, die aber in die gleiche Richtung zielt.“ Und die Richtung heißt: mehr erneuerbare Energie für NRW, dem Klimaschutz zu Liebe und der Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen (nicht nur) aus Russland.

Die Windkraft soll dabei nach dem Willen des Landes einen erheblichen Beitrag leisten und dies vor allem durch eine Verlagerung der Zonen, in denen der Wind angezapft wird. Derzeit gehören die Kreise Kleve, Borken und Steinfurt, Warendorf, Soest und Paderborn zu den Hauptanbaugebieten der Energiespargel.

„Repowering-Potenzial tenzdenziell unterschätzt“

Auch, wenn die Experten des Lanuv für die Kreise Kleve und Wesel ein kleines Neubaupotenzial für Windräder ausgemacht haben, dürfte hier angesichts des geplanten Abbaus von Altanlagen die Zahl der Windräder womöglich sogar sinken.

Doch um die vom Bund erklärten Transformationsziele bis 2030 zu erreichen, müsste die Stromerzeugung durch erneuerbare Energien von 240 Terawattstunden (TWh) auf 600 TWh erhöht werden. Erheblichen Anteil daran soll der Windkraftausbau auch an Land haben. Der Bund sieht vor, dass zwei Prozent der Fläche der BRD für Windkraftausbau vorgesehen werden. Bisher sind 0,8 Prozent Fläche ausgewiesen.

Bis 2030 sollen 115 Gigawatt (1 Mio. Kilowatt) Windleistung an Land installiert sein. 12 GW sind das erklärte Ziel in NRW bis 2030. Aktuell sind in NRW rund 6,4 GW installiert (3545 Anlagen).

Das Lanuv selbst gibt zu: „Viele Bestandsanlagen befinden sich innerhalb und bestehenden Windkonzentrationszonen“ – Gebiete, die die Kommunen ausgeweisen haben, die oft nicht die derzeit festgeschriebene Grenze von 1000 Metern zur Bebauung einhalten. „Das Repowering-Potenzial wird daher durch den Ansatz dieser Untersuchung tendenziell eher unterschätzt“, so das Lanuv: Die „Neubestückung“ bestehender Windräder mit leistungsfähigeren Rotoren spielte also bei der Betrachtung eine eher untergeordnete Rolle.

Was den Naturschutzbund NABU auf die Bäume bringt: „Die Fokussierung beim Ausbau der Windkraft auf Naturschutz- und ursprüngliche Waldflächen – die so genannten „Kalamitätsflächen“ - lehne der NABU mit Blick auf eine zukunftsfähige und gleichzeitige Bewältigung der Biodiversitäts- und Klimakrise als nicht akzeptabel ab“, so die Vorsitzende Heide Naderer.

Spargelfelder einmal anders: Die Windkraftanlage Auf'm Mühlstein beim Brilon im Sauerland
Spargelfelder einmal anders: Die Windkraftanlage Auf'm Mühlstein beim Brilon im Sauerland © www.blossey.eu | Hans Blossey

Denn die bemerkenswerte Konsequenz des Gutachtens: Ein Aufwuchs der Windenergie in NRW „konzentriert sich auf die weniger dicht besiedelten Regionen des Landes.“ Potenziale haben vor allem das Sauerland sowie die Kreise Paderbon und Höxter, dazu das Rheinische Revier und die Eifel. Die Studie setzt auf große Windräder, deren Rotorblätter bis zu 240 Meter in den Himmel ragen und auch zu 35 Prozent in „Kalamitätswälder“ stehen sollen, Freiflächen, die Wald waren, jetzt aber Totholz. Künftig können neue Bäume dann ja unterhalb der Windriesen wachsen.

Pläne mit denen viele Menschen in der betroffenen Region nicht grün sind: Die Vorsitzenden der Bürgerinitiativen „Gegenwind Olpe-Drolshagen-Wenden“ und „Rothaarwindwahn“ laufen Sturm laufen. „Alarmismus und Aktionismus“ glauben sie vor allem in der aktuellen Debatte auf Bundesebene ausgemacht zu haben.

„Wir fürchten, dass das Sauerland eine Industrielandschaft wird.“

„Wir befürchten, dass aus dem Sauerland eine Industrielandschaft wird. Daher sollte auf einen weiteren Ausbau der Landschaft zu Industriegebieten für regenerative Energien grundsätzlich verzichtet werden, solange es noch andere nutzbare Flächen gibt“, sagt Frank Dubberke, Vorsitzender der Bürgerinitiative „Rothaarwindwahn“. Ob ein Wald unter Windrädern Wald oder Industriefläche ist, darüber lässt sich streiten. Blickt Dubberke von seiner Terrasse in die Ferne, sieht er den Rothaarsteig und eine Handvoll Windkraftanlagen. „Anfangs hat mich das überhaupt nicht gestört“, sagt der 63-Jährige gebürtige Bremer. In den 80ern habe er sich ganz bewusst eine neue, naturnahe Heimat gesucht.

Er und sein Mitstreiter Matthias Reißner, Vorsitzender von „Gegenwind Olpe“ sehen sich nicht als Energiewendegegner. Aber sie und die Mitglieder der Bürgerinitiativen fühlen sich bei der Debatte um den richtigen Weg zur klimaneutralen Gesellschaft abgehängt.

Die Initiativen, von denen es sicher ein Dutzend gibt, fordern eine Energiewende mit Augenmaß, die Nutzung aller Bausteine wie Geothermie, Blockheizkraftwerke, Biogaskraftwerke – und der Verlängerung der Nutzung von Atomenergie, wenn es sein muss, um sich von Russland unabhängig zu machen. Sie wollen, dass Fachleute die Energiewende mit ihnen planen – und nicht gegen sie.