Berlin. Raus, nur noch raus aus Afghanistan: So hätten es, noch unausgesprochen, jene entnervten Politiker plötzlich gern, denen man bislang in ihren Reden über den unpopulären Abnutzungskrieg am fernen Hindukusch satte Portionen an Selbsttäuschung und Realitätsverlust unterstellen dürfte.

Kluge Militärs waren von solcher Schönrednerei immer weit entfernt und dämpfen – wie letzte Woche US-General David Petraeus – die Versuchung der Politik, sich verbindlich auf einen Zeitpunkt für den Rückzug der internatonalen Streitmacht festzulegen.

Ja, er halte es für möglich, dem Wunsch des Präsidenten Karsai folgend, die Sicherheitsverantwortung 2014 in die Hände der afghanischen Armee und Polizei zu legen. Ja, es sei gelungen die Taliban in einigen Regionen zurückzudrängen. „Aber nach wie vor gibt es Distrikte, in denen sie die Initiative haben“. Sagt der Vier-Sterne-General und Oberbefehlshaber. Schnörkellos beschreibt auch der Bericht des Pentagon an den US-Kongress allenfalls „bescheidene Zugewinne bei Sicherheit, Regierungsführung und Entwicklung“ in Afghanistan.

Falscher Taliban täuscht den Westen

Die Kämpfe und Angriffe haben sich seit 2007 mehr als verdreifacht, die Aufständischen erweisen sich als „sehr resistent“, die Bemühungen, die Nachschubrouten der Taliban über Pakistan und den Iran abzuschneiden, haben „keine messbaren Ergebnisse“ gezeigt. Schlimmer noch: Die Gotteskrieger schöpften Kraft aus der Ankündigung der Alliierten, Afghanistan bald den Rücken zu kehren. „Der Bevölkerung wird dadurch glaubwürdig, dass ein Sieg der Taliban unvermeidlich ist“, warnt der Pentagon-Report.

Und als wäre alles nicht schon schlimm genug, schreckte dieser Tage das blamable Eingeständnis auf, dass ein falscher Taliban über Monate den Westen und die Regierung in Kabul mit vermeintlichen „Friedensverhandlungen“ genarrt hat. Dem falschen Mullah sei, so ein westlicher Diplomat kleinlaut, „eine Menge Geld“ zugesteckt worden, um ihn zu weiteren Treffen zu bewegen . . . Was wirklich bislang verhandelt wurde, nennt der US-Sondergesandte Richard Holbrooke „nicht einmal Verhandlungen, sondern nur Gespräche über mögliche künftige Gespräche“.

Messbare „Erfolge“ können die US-Truppen von ihren sogenannten night raids melden: Nächtens steigen die Apachee-Hubschrauber auf und setzen ihre Spezialkommandos in Dörfern ab, in denen zuvor der Handy-Verkehr vermuteter Taliban-Kämpfer geortet wird. 1300 Mann sind demzufolge allein 2010 „ausgeschaltet“ worden. Vor allem auf der Kommando-Ebene der Aufständischen gebe es deshalb inzwischen Probleme, weil die Nachrücker um ihr Leben fürchten. . .

Die Ankündigungen zum Rückzug sind nicht viel wert. „Entscheidend ist die Lage vor Ort“, sagt Petraeus. Noch entscheidender ist der Wahltermin in den USA: Präsident Obama will 2012 wiedergewählt werden. Sein republikanischer Herausforderer könnte Petraeus heißen. Wenn er denn sein Kommando mit einem erfolgreichen Truppenabzug krönen kann.