Brüssel. .

40 Jahre lang verstand sich die Nato als Bollwerk gegen den Kommunismus, mit atomarer Abschreckung und gewaltigen Ar­meen. Terroristen, Cyber-Krieger, Piraten bilden die „neuen Risiken“. Beim Nato-Gipfel in Lissabon geht es um eine neue Strategie für das Militärbündnis.

Der Nato-Gipfel am Freitag und Samstag in Lissabon hat ein dicht gedrängtes Programm: Das Bündnis verabschiedet eine neue Strategie, bemüht sich um einen Deal mit den Russen über die Raketen-Abwehr, trifft sich mit den Afghanistan-Verbündeten und versucht, die Verkrampfungen im Umgang mit der EU zu lösen. Letztere nutzt ihrerseits die Gelegenheit zu einem Ergänzungsgipfel mit US-Präsident Barack Obama. Als Gäste werden unter anderem der russische Staatschef Medwedew und UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon erwartet.

Vier Jahrzehnte lang verstand sich die Nato als Bollwerk gegen den Kommunismus, mit atomarer Abschreckung und gewaltigen Ar­meen. Die Frage nach Sinn und Zweck beantwortete sich beim Blick nach Osten von selbst. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks kamen Zweifel auf. Wozu ein Militärbündnis, wenn der Feind verschwunden war?

Neue Bedrohungen

Die Antwort gaben Leute wie der damalige Nato-Generalsekretär Manfred Wörner: Stabilität und Frieden wie im Westen sollte nach Osten exportiert werden. 1999, als in Washington das derzeit gültige strategische Konzept verabschiedet wurde, war Bedarf vor allem auf dem Balkan erkennbar, wo der Zerfall Jugoslawiens in Krieg und Völkermord mündete.

Zehn Jahre später operiert die Nato auch in Afghanistan, dem Irak oder am Horn von Afrika – weit „out of area”, also jenseits des eigenen Territoriums. Außerdem hat sich nach der Katastrophe des 11. September 2001 die Einsicht durchgesetzt, dass weltweit neue Bedrohungen lauern und das Bündnis entsprechend global handeln können muss – wenn möglich vorbeugend, wo nötig militärisch. Dem soll die neue Strategie Rechnung tragen.

Hacker und Piraten

Terroristen, Cyber-Krieger, Piraten bilden die „neuen Risiken“. Eine Expertengruppe unter der früheren US-Außenministerin Madeleine Albright hat energischere Schritte ge­gen Angriffe auf lebenswichtige Datennetze verlangt. Ge­fährdet sind die zentralen Nato-Einrichtungen ebenso wie militärische Datenspeicher der 28 Mitgliedstaaten.

Vor dem Gipfel hält das Bündnis bereits seine dritte Übung ab, um zu erproben, wie man im Ernstfall ihre Computernetze funktionstüchtig halten kann. „Das sind nicht mehr Garagen-Hacker, sondern organisierte Kriminelle“, heißt es. Das gilt auch für Piraten auf internationalen Schiffsrouten. Beim Kampf gegen den Terrorismus geht es vor allem darum, den Zugang zu Massenvernichtungswaffen zu unterbinden.

Gemeinsame Raketenabwehr

Ab 2020 soll ein Raketenabwehr-Schild aus Melde- und Abfang-Systemen das gesamte europäische Gebiet der Allianz gegen feindliche Raketen schützen. Den Löwenanteil wollen die Amerikaner übernehmen. Ihre Abwehrtechnik operiert von Kriegsschiffen aus, wird aber in Rumänien (ab 2015) und Polen (ab 2018) Land-Komponenten haben. Die europäischen Verbündeten sollen ihre nationale Raketenabwehr andocken.

„Ein Schnäppchen-Deal”, sa­gen die Nato-Oberen: Die Verkopplung koste weniger als 200 Millionen Euro. Der Gipfel soll den Beschluss zum Aufbau des gesamten Schirms fassen und die skeptischen Russen überzeugen, dass sich Mitmachen für sie lohnt.

Brisanz enthält auch das Thema Afghanistan-Einsatz. Ein Abzug, der möglichst viel nach erfolgreichem Abschluss und möglichst wenig nach Rückzug aussieht ist das Hauptziel der Nato-Partner. In Lissabon wollen die Nato-Staaten festlegen, wie die Verantwortung für die Sicherheit nach und nach an afghanische Militär- und Polizei-Einheiten übergehen kann. 2011 soll der Rückzug starten, 2014 nach Möglichkeit abgeschlossen sein. Auch danach soll eine militärische Rest-Präsenz im Land bleiben, schon um den Taliban nicht völlig freie Bahn zu schaffen.

„Weniger
Soldatenstiefel“

Indes gibt es wieder Ärger mit dem afghanische Präsidenten Karsai, der ebenfalls in Lissabon erwartet wird. Er kritisiert vor allem die nächtliche Jagd auf Taliban-Führungsfiguren und verlangt „weniger Soldatenstiefel” auf afghanischem Boden. Die US-Truppen sollten in ihren Stützpunkten bleiben und sich ansonsten darauf beschränken, im Grenzgebiet zu Pakistan Patrouille zu schieben.

Der dänische Nato-Generalsekretär An­ders Fogh Rasmussen machte indessen klar, dass miltiärischer Druck auf die Taliban weiterhin unabdingbar bleibe. Ähnlich US-Außenministerin Hillary Clinton: Gezielte Operationen gegen „hochrangige Aufständische und ihre Netzwerke” seien ein Schlüsselelement des Vorgehens.

Aber auch eine Mega-Organisation wie die Nato muss sparen. Von den elf Hauptquartieren sollen mehrere geschlossen werden, von den 13 000 Bediensteten nur 9000 bleiben. Von ihren 14 diversen Agenturen will die Nato gar nur drei erhalten. Fragt sich nur, wo – darüber gibt es Streit, der auch in Lissabon kaum gelöst werden dürfte.