Karlsruhe. .
Leidenschaftlich und hochmoralisch verlief die Debatte beim CDU-Parteitag in Karlsruhe über die Präimplantationsdiagnostik. Am Ende sprach sich eine knappe Mehrheit für ein Verbot aus.
Aus der Tiefe des Raums kommt ein höhnisches, lang gezogenes „Oooh“. Soeben hatte CSU-Chef Horst Seehofer beteuert, dass er seine Politik nicht nach Schlagzeilen und Umfragen richte. Die Delegierten nehmen es ihm nicht ab.
Für derlei Scheinheiligkeit ist dieser Parteitag nicht empfänglich, zumal an diesem Tag, am Ende einer leisen, gewissenhaften und hochmoralischen Debatte über die Präimplantationsdiagnostik (PID). Die CDU spricht sich in Karlsruhe dafür aus, diese zu verbieten. Die Entscheidung fällt extrem knapp aus: 51 zu 49 Prozent der Delegiertenstimmen.
Zu Ende geht ein Parteitag, der vieles bestätigt: Angela Merkels Autorität, die Kräfteverschiebung zulasten des rechten Flügels, die Aussetzung der Wehrpflicht, das PID-Verbot, eine kühle Distanz zu Horst Seehofer, ein neues altes Feindbild (die Grünen), die Annäherung zwischen CDU und Altkanzler Helmut Kohl, der sich zum Parteiabend dazu gesellt hatte. Unter den Klängen des Boxer-Films „Rocky“ wird er im Rollstuhl in den Saal geschoben.
„Eine Sternstunde“
Als „Sternstunde“ aber empfindet der baden-württembergische Regierungschef Stefan Mappus die Debatte über PID. Merkel ist häufig angekreidet worden, dass wichtige Entscheidungen nicht auf Parteitagen gefallen waren. Diesmal besteht sie darauf, dass sie sich Zeit nehmen – fast vier Stunden – und einen Beschluss fassen. Ironie am Rande: Just die Schlussredner wie Norbert Lammert und Peter Müller raten auf einmal von einer Festlegung ab.
Der Bundestagspräsident argumentiert moralisch und politisch, während Saarlands Ministerpräsident Müller eher juristische Einwände vorbringt. Für Müller ist PID schon heute nicht erlaubt. Zuletzt habe der Bundesgerichtshof lediglich auf die Bestrafung eines Arztes verzichtet, erläutert Müller. Der Arzt hatte Paaren geholfen, die ein Kind künstlich zeugen und in der Petrischale auf genetische Schäden untersuchen ließen.
Es sind meist Menschen, die wegen einer schweren genetischen Vorbelastung schon Totgeburten erlebt haben. „Sie haben Angst, so was noch mal erleben zu müssen“, wirbt Sozialministerin Ursula von der Leyen um Verständnis. Sie ist überzeugt, in solchen Fällen könne „die PID das Ja zum Kind stärken“.
Verbotsbefürworter wie die Mainzer Spitzenkandidatin Julia Klöckner mahnen, „wenn Leben ein Geschenk Gottes ist, dann ist es nicht unter Bedingungen gegeben“. Und die Abgeordnete Maria Flachsbarth: „Wir wollen dem Schöpfer nichts ins Handwerk pfuschen.“ Klöckner oder Flachsbarth haben starke Verbündete: Fraktionschef Volker Kauder und die Parteichefin und Kanzlerin Merkel selbst.
„Die Tür ist offen“
Andere Regierungsmitglieder wie Peter Hintze, von der Leyen, Familienministerin Kristina Schröder oder die aus Nordrhein-Westfalen kommende Staatssekretärin Ursula Heinen wollen nicht verstehen, dass die Abtreibung bis zur 12. Woche erlaubt ist, aber der Test in der Petrischale verboten sein soll. „Die Tür steht schon sperrangelweit offen“, sagt Heinen. Für Kristina Schröder ist PID schlicht „das kleinere Übel“.
Am Ende votieren 408 Delegierte für ein Verbot und 391 dagegen. Ob die Union ihr Nein zur PID auch im Bundestag durchsetzen kann, ist allerdings höchst fraglich. Beim Koalitionspartner FDP etwa befürworten viele die PID. Aber darauf kommt es auf dem Parteitag in Karlsruhe auch nicht an. Die Christdemokraten sind an diesem Tag stolz darauf, eine Diskussion „im Zeichen des C“ (Ursula von der Leyen) zu führen. Und Bundestagspräsident Norbert Lammert erlebt eine Debatte, „die an die Seele der Partei rührt“.