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Das Gesundheits­system ist wegen steigender Kosten nicht mehr in der Lage, jeden Patienten optimal zu versorgen, beklagt der Präsident der Bundesärztekammer, Jörg-Dietrich Hoppe. Er schlägt als Kostenbremse eine Rangliste vor, nach der Patienten und Krankheiten behandelt werden sollen.

Statt optimaler Versorgung sei Mangelverwaltung vielerorts die Regel, sagte Hoppe. „Mancher Patient bekommt nicht, was er bekommen müsste.“ Bereits jetzt würden Ärzte und Kliniken medizinische Leistungen „heimlich rationieren“, sagte Hoppe. Ärzte seien gezwungen, ihre Patienten „zu beschummeln“, da sie aus ­Kostengründen nicht die teuerste Therapie und das beste Mittel verschreiben könnten.

Um trotz begrenzter Ressourcen eine gerechte Versorgung zu gewährleisten, schlägt Hoppe eine Prioritätenliste vor. Das bedeutet: Nicht jeder Kranke soll mehr jede Therapie erhalten. Krankheiten würden nach ihrer Bedrohlichkeit und den Therapiemöglichkeiten abgestuft, ihre Behandlung wäre nur noch nach einer Rangliste als ­Kassenleistung vorgesehen.

30 Milliarden Euro

Hoppe: „Wenn nicht mehr Geld ins System der Gesetz­lichen Krankenversicherung fließt und die Kompensation aus den Privatkassen versiegt, müssen wir über Priorisierung reden.“ Oben in diesem Ranking stünde etwa eine Krebserkrankung, unten angesiedelt wären Krankheiten, die durch den Lebensstil verursacht ­wurden. Es fehlten jährlich 30 Milliarden Euro, um das bis­herige Niveau der Gesundheitsversorgung erhalten zu können.

Einen Sturm der Entrüstung erntete Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer, als er das Prinzip der Priorisierung erstmals in die Reformdebatte einbrachte. Patienten befürchten, dass die Vorschläge zur Kostendämpfung zu ihren Lasten gehen. Und obwohl Priorisierung nach den Worten Hoppes zunächst nur eine Rangreihe medizinischer Leistungen und Therapien für bestimmte Krankheiten und Patienten bedeute, wurde ihm Rationierung von Behandlungen vorgeworfen. „Menschenverachtend“ war noch einer der gemäßigteren Kommentare aus der Politik.

„Heimliche Rationierung“

Auch Gesundheitsminister Philipp Rösler lehnt den Vorschlag ab. Hoppe bedauert das fehlende Echo aus der Politik: „Bis jetzt wird der Diskurs darüber strikt abgelehnt. Das Gesundheitsministerium hält dies nicht für nötig.“ Stattdessen lasse die Politik lieber die „heimliche Rationierung“ von medizinischen Leistungen geschehen. Hoppe: „Das verlagert die Auseinandersetzung um das knappe Geld in die Beziehung zwischen Patient und Arzt. Das finde ich gemein, denn dies muss an höherer Stelle entschieden werden.“

Daher lässt der oberste Vertreter der deutschen Ärzteschaft nicht locker: Um das Gesundheitssystem in der bisherigen Form erhalten zu können, müsse man jetzt über die Priorisierung reden. Als Beispiel nennt Hoppe die Behandlung von Herzinsuffizienz (Herzschwäche). Derzeit seien noch die teuersten Therapieverfahren Standard, zunächst sollten jedoch preiswertere Methoden angewendet werden und erst nach Genehmigung der Kassen eine aufwendigere, schlägt Hoppe vor. Schließlich sollten die Ärzte anhand des vorgegebenen Katalogs entscheiden, welche Patienten sie vorrangig behandeln und welche noch warten müssten.

Zwei-Klassen-Medizin

Eine solche Rangliste könne nur vermieden werden, wenn deutlich mehr Geld ins System gepumpt würde. Hoppe schlägt eine Kommission vor, die ähnlich wie bei der Bundeswehr-Reform das Gesundheitssystem unter die Lupe nimmt. „Wenn wir weiter nur am System herumfummeln, wird es kollabieren.“

Eine Priorisierung würde nur Kassenpatienten betreffen, Privat- und Zusatzversicherte blieben außen vor. Den Vorwurf, bei der Idee gehe es vor allem ums Abkassieren, da immer mehr Leistungen von den Kassen nicht mehr bezahlt, sondern privat abgerechnet würden, weist er aber zurück. Zwar würde die Priorisierung die „Zwei-Klassen-Medizin“ zwischen den gesetzlich und den privat Versicherten verschärfen, räumt er ein. Doch innerhalb des gesetzlichen Systems bliebe die Gerechtigkeit gewahrt.