Stuttgart. .
FDP-Chef Westerwelle wirbt für das Bauprojekt „Stuttgart 21“. Er warnt vor einer „Nichts-geht-mehr-Republik“. Am Samstagabend hatte die Polizei den besetzten Südflügel des Hauptbahnhofes geräumt.
FDP-Chef Guido Westerwelle hat angesichts vor dem Hintergrund des starken öffentlichen Widerstands gegen das Bauprojekt „Stuttgart 21“ vor einer „Nichts-geht-mehr-Republik“ gewarnt. Dem „Tagesspiegel“ sagte er: „Als Außenminister stelle ich mir auch die Frage, welches Zeichen wir als Land insgesamt in die Welt senden. Sind wir ein Standort der Veränderungsbereitschaft oder des Stillstands?“ Die dynamische Welt des 21. Jahrhunderts sei voller Länder, deren Gesellschaften eine enorme Veränderungsbereitschaft an den Tag legten. Dagegen sehe er „hierzulande Anzeichen für eine skeptische Grundhaltung“, die sich breit mache.
„Das kann so nicht weitergehen, wenn wir im globalen Wettbewerb auch in Zukunft bestehen wollen“, kritisierte Westerwelle. In einer „Nichts-geht-mehr-Republik“ könne der Wohlstand für alle nicht gesichert werden. Mit Blick auf die Landtagswahlen des kommenden Jahres kündigte Westerwelle an, die Veränderungsbereitschaft in Deutschland zum Thema zu machen: „Ich habe große Lust, diesen gesellschaftlichen Kampf aufzunehmen und auszutragen: Es geht darum, ob Dagegen-Parteien wie SPD, Grüne und Linkspartei die Zukunft verbauen, oder ob die Kräfte des Dafür Chancen und Perspektiven schaffen.“
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin kündigte derweil an, seine Partei werde sich für ein Stopp von „Stuttgart 21“ einsetzen, falls die Schlichtung scheitert und die Grünen bei der Landtagswahl 2011 Regierungsverantwortung erhalten.
Südflügel besetzt
Nach einer friedlichen Großdemonstration gegen „Stuttgart 21“ war es in der baden-württembergischen Landeshauptstadt zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Etwa 60 Menschen besetzten gestern vorübergehend den Südflügel des Hauptbahnhofes, wie die Polizei mitteilte.
Bei der Räumung wurde demnach ein Polizist durch den Schlag eines Demonstranten verletzt. Er musste wegen eines gebrochenen Fingers ärztlich behandelt werden. Vor dem Zwischenfall hatten nach Angaben der Polizei 18.000 Menschen auf dem Stuttgarter Schlossplatz „absolut friedlich“ gegen „Stuttgart 21“ demonstriert. Nach Angaben eines Sprechers des Aktionsbündnisses nahmen an der Protestveranstaltung 25.000 Menschen teil.
Offenbar stellte ein Teilnehmer nach der Besetzung des Südflügels ein Video ins Internet. Darin ist unter anderem von innen zu sehen, wie eine Tür zum besetzten Bereich von der Polizei geöffnet wird. Anschließend zeigt das Video, wie Demonstranten von Polizisten hinausbegleitet werden.
Schlichter Geißler kritisiert Entscheidungsprozess
Schlichter Heiner Geißler kritisierte unterdessen die Entscheidungsprozesse für das umstrittenen Bahnbauvorhaben. „Staatliche Entscheidungen bei solch gravierenden Projekten ohne Einbindung der Bürger gehören dem vorherigen Jahrhundert an“, sagte der frühere CDU-Generalsekretär.
Auch der CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, Hans-Peter Friedrich, kritisierte die mangelnde Einbeziehung der Bevölkerung in das Projekt.
„Man hat geglaubt, dass alle Hurra schreien“
Geißler sagte: „Die Schlichtung ist ein deutliches Signal dafür, dass in Deutschland die Zeit der Basta-Entscheidungen vorbei ist.“ Wenn „Stuttgart 21“ gekippt würde, kämen auf die Bahn Kosten in Höhe von über drei Milliarden Euro zu. Nach Informationen der Zeitung „Bild am Sonntag“ hat die Bahn bereits 1,43 Milliarden Euro in das Projekt gesteckt.
Bei einem Ausstieg müsste die Bahn zusätzlich 1,8 Milliarden Euro in die Erneuerung des Gleisvorfeldes des bisherigen Bahnhofes stecken.Friedrich mahnte eine bessere Vermittlung von Großprojekten wie „Stuttgart 21“ an. Als Beispiel nannte er einen ähnlichen Neubau in Wien: „Es wird in Wien als ein Riesenevent der Stadt gefeiert, die Bevölkerung wird mitgenommen und ist begeistert von diesem Projekt. Es ist kommunikativ sehr, sehr sorgfältig vorbereitet. Ich glaube, man hat in Stuttgart ebenfalls geglaubt, dass es ein Selbstläufer wird, dass alle Hurra schreien, und es ist dringend notwendig, das jetzt nachzuholen.“ (AFP/dapd)