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Stress und Leistungsdruck bis zum Zusammenbruch. Ganztagsstundenpläne ohne Mittagspause. Überforderte Lehrer. Und darüber schwebte das große Chaos in einem Schulministerium: So war das zu Beginn des Schuljahres 2005/2006, als das Turboabi eingeführt wurde. Die Zeit zurückdrehen will aber niemand.

Nichts war fertig, nichts war erprobt, systematisch angepasst, als mit dem Schuljahr 2005/2006 der erste Turbojahrgang startete. Was folgte, war das große Klagen der Schüler, Eltern und Lehrer. Binnen weniger Monate war klar: Das Turboabi bewirkt Vieles, nur nichts Gutes.

Der Ruf war also schnell und nachhaltig dahin, doch weil es keine Alternative an den Gymnasien gab, handelten die Beteiligten nach dem Motto „Augen zu und durch“.

Nun – fünf Jahre später hat die Regierung gewechselt –, ist die Gelegenheit zum Greifen nah, den Kindern wieder mehr Zeit zu geben auf dem Weg zum begehrten Abitur. Doch zurück wollen noch nicht einmal die schärfsten Kritiker. Zu groß ist die Angst der Schulleiter vor einem neuen Chaos, das die Verlängerung der Schulzeit mit sich bringen könnte.

„Inzwischen ist alles auf G8 abgestimmt“, sagt Ursula Zimmer, stellvertretende Schulleiterin am Hattinger Gymnasium Holthausen. Nun das Rad komplett zurückzudrehen, sei mit Blick auf das Ausland nicht sinnvoll. In kaum einem anderen Land machten Jugendliche so spät, nach 13 Schujahren, Abitur. Besser sei es, die Kinder gründlich vorzubereiten und das G8 zu verbessern.

Am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Velbert gibt es inzwischen ausdrücklich Lob für die Schulzeitverkürzung: „Mit G8 kann man wunderbar arbeiten, wenn man gut organisiert ist“, sagt Angelika Vogt, Schulleiterin des Gymnasiums, das inzwischen einen Ganztagsbetrieb aufgenommen hat.

Apropos Ganztag: Der gilt längst als Allheilmittel für Schulprobleme jeglicher Art, da sind sich Politiker, Eltern und auch immer mehr Lehrer einig. Einer der größten Verfechter des Ganztagsbetriebs ist Wilfried Bos, Leiter des Instituts für Schulentwicklungsforschung an der TU Dortmund. So schwärmt der Professor von individueller Förderung durch maßgeschneiderte Hausaufgaben. Er wünscht sich Freiarbeit und andere offene Unterrichtsformen. Dem Vorwurf, der vom Frontalunterricht geprägte Schulalltag habe sich in den vergangenen 30 Jahren häufig nicht geändert, hat er nichts entgegenzusetzen als das Versprechen, „jetzt endlich“ anzufangen.

Weniger Sitzenbleiber

In der Tat zeigen sich viele Schulleiter beseelt von ihrem Anspruch, künftig alles besser zu machen, und zwar in acht Jahren bis zum Abi. G8 sei schon jetzt ein Erfolg, sagt etwa Karl-Heinz-Weber, Schulleiter des Duisburger Albert-Einstein-Gymnasiums. Immerhin sei die Zahl der Sitzenbleiber gesunken. Sein Duisburger Kollege Peter Jückel vom Krupp-Gymnasium ergänzt: Auch an seiner Schule „gibt es kein verstärktes Sitzenbleiben“.

Am meisten erschreckt die Lehrer im Ruhrgebiet die Vorstellung, auch künftig G8 und G9-Jahrgänge nebeneinander her laufen zu haben. Der vielfach unüberschaubare Doppeljahrgang der Jahrgangsstufen 10 und 11 reiche ihnen völlig, sagen viele. Der Wittener Bezirksschülersprecher Nils Ruttkamp erzählt: An seiner Schule säßen im Doppeljahrgang 300 Schülerinnen und Schüler. „Das ist ein krasser Organisationsaufwand.“

Gestresst, das geben viele Lehrer zu, seien die Kinder und Jugendlichen auch fünf Jahre nach der Einführung des Turboabis. „Doch statt G9 wieder einzuführen, sollten wir lieber überlegen, wie man den G8-Gang optimieren kann.“