Gladbeck.

Der Auftritt von Joachim Gauck im Martin Luther Forum Ruhr wurde zu einer Lehrstunde der Demokratie.

„Ich habe 50 Jahre meines Lebens darauf warten müssen, an freien, gleichen und geheimen Wahlen teilnehmen zu können“, formulierte Joachim Gauck in der Ex-Markuskirche in Richtung Publikum. Meine Damen und Herren, ich kann gar nicht nicht wählen gehen!“

Der protestantische Pastor, der Bürgerrechtler, der Bundespräsidentenkandidat - all die Rollen, die Gauck in seinem Leben hatte, prägten diesen Auftritt in Gladbeck - ein Auftritt, der vor allem zu einem leidenschaftlichen Plädoyer für verbriefte Grundrechte und freien Parlamentarismus wurde.

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Von DerWesten

Gauck, der Anti-Kommunist - auch hieran ließ der Gast keinerlei Zweifel aufkommen, wenn er etwa formulierte: „Diejenigen, die den Sozialismus als Staatsform gestalten, machen das immer nach außen hin mit Panzern und nach innen mit Geheimdiensten.“ Oder: „Viele Leute träumten zu lange von einem dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus, aber keiner von ihnen konnte nach der Wende die Wirtschaftsform eines solchen dritten Weges benennen.“

Das Publikum in der voll besetzten Ex-Markuskirche lauscht aufmerksam den Ausführungen des prominenten Gastes, der an diesem Abend von Pfarrer Peter R. Seeber bei einem Glas Rotwein interviewt wird. Gauck gibt sich rhetorisch meist äußerst gelassen; ein Mann, der in sich selbst ruht und mit sich und seinem Leben zufrieden ist, auch nach der Niederlage bei der Wahl zum Bundespräsidenten: „Eine Ossi als Bundeskanzlerin, und dann noch ein Ossi als Bundespräsident - da haben wohl manche gesagt, das sei ein bisschen viel. . .“

War die DDR ein Unrechtsstaat? Dazu muss man Joachim Gauck, dessen Vater, ein Kapitän aus Rostock, in den 50-er Jahren plötzlich spurlos verschwand und der im Arbeitslager in Sibirien landete, nicht zwei Mal befragen: Natürlich war die DDR nach Gaucks Urteil ein Unrechtsstaat, da es eben keine verbrieften Grundrechte, keine freien, gleichen und geheimen Wahlen, keine Verfassungs- und Verwaltungsgerichte und keine Gewaltenteilung gab - ja, wenn Gauck auftritt, erklärt ein Ossi den Wessis den Wert ihrer Institutionen und beharrt darauf, dass sie diese Institutionen niemals gering schätzen sollten, dass sie sich einbringen sollten, wo immer das möglich und nötig sei, dass wir alle die Demokratie gestalten sollten.

„Wir tun oft so, als seien die Politiker aus einer anderen Rasse. Nein! Die Politiker stammen aus unserer Mitte“, sagt Joachim Gauck und erteilt damit auch jeder pauschalen Politiker-Schelte eine klare Absage. Allerdings müssten die Politiker komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge den Menschen besser erklären und das Volk nicht nur zu Wahlzeiten ernst nehmen - das gelte für Stuttgart 21 genauso wie für die Gesundheitsreform.

Mit Riesenapplaus wird der Gast an diesem Abend verabschiedet. Und gleich zwei Mal sagt Pfarrer Peter R. Seeber unüberhörbar: „Millionen Menschen, Herr Gauck, hätten es begrüßt, wenn sie im Sommer unser Bundespräsident geworden wären.“ In der Tat: Er wäre ein geradezu perfekter Bundespräsident geworden. Das machte dieser Gladbecker Abend nochmals deutlich.

Ein Gauck-Lob gab es übrigens für das Martin Luther Forum Ruhr als Institution: „Wenn Menschen so etwas wie das hier machen, das ist wirklich Bürger-Engagement auf höchstem Niveau“, sagte der Gast mit Blick auf die Markuskirche: „Staat und Kirche wissen nicht, was sie mit einem solchen Gebäude machen sollen, und dann kommen Menschen und nutzen es neu.“