Berlin/Kabul/Islamabad. .

US-Raketen haben offenbar versehentlich Angehörige des pakistanischen Geheimdienstes ISI getötet. Damit spitzt sich die angespannte Lage zwischen NATO und Pakistan weiter zu.

Amerikanische Soldaten sollen nach Informationen der Nachrichtenagentur dapd bei dem Zwischenfall am Donnerstag an der afghanisch-pakistanischen Grenze mit Hubschrauber-Raketen versehentlich Angehörige des pakistanischen Geheimdienstes ISI getötet haben. Es sei dadurch eine „neue brisante Lage“ zwischen der NATO und Pakistan entstanden, hieß es am Wochenende im NATO-Hauptquartier in Brüssel. Kreise des ISI (Directorate for Inter-Services Intelligence) wollten sich nicht äußern: „No comment“, wurde in Islamabad erklärt. Offiziell gab Islamabad an, es seien drei pakistanische Soldaten getötet, drei verletzt worden.

Wie aus Geheimdienstkreisen in Kabul am Samstag zu erfahren war, handelte es sich bei den Getöteten offensichtlich nicht um Soldaten, sondern um ISI-Leute, die wie die pakistanischen „Paramilitärs“ an der Grenze zu Afghanistan keine Uniformen trugen, sondern die landesübliche Kleidung, die aus langem Hemd und einer Pluderhose besteht. Die US-Piloten wären der Meinung gewesen, gegen Taliban vorzugehen, erläuterten Offiziere. CIA-Experten wiesen in Kabul darauf hin, dass große Teile des ISI seit jeher mit den Taliban „kooperieren“ und darüber hinaus sogar in Trainingslagern der Aufständischen in der Nordwestregion Pakistans „verdeckt“ vertreten seien.

„Doppelbödige“ Politik Pakistans

Die Verbindungen der radikal-islamischen Taliban reichen nach Angaben von Vertretern westlicher Geheimdienste tief hinein in das pakistanische Militär und den Geheimdienst ISI. Die Regierung in Islamabad streitet diesen Verdacht stets kategorisch ab. Es ist aber nach Aussage der CIA-Männer kein Geheimnis, dass der ISI nach dem Ende der sowjetischen Besetzung Afghanistans 1989 die Taliban „mit aufgebaut hat“. ISI-Agenten sollen sich auch unter den Taliban-Kämpfern am Hindukusch befinden. In Washington sei sich die Administration über die „doppelbödige“ Politik Pakistans und das „Hineinwirken“ des ISI nach Afghanistan „voll bewusst“, sagte ein CIA-Angehöriger dapd.

Nach Darstellung von NATO-Militärs in Kabul flogen die beiden US-Kampfhubschrauber vom Typ „Apache“ am frühen Donnerstagmorgen in den Luftraum von Pakistan ein und eröffneten das Feuer auf den pakistanischen Kontrollposten in dem Dorf Teri Mangal. Zuvor hatten nach Angaben eines ISAF-Sprechers NATO-Soldaten eine Gruppe von Extremisten ausgemacht, die auf ein Lager der ISAF in der afghanischen Provinz Paktiya mit Mörsern feuerte. Die NATO-Soldaten forderten Luftunterstützung an. Das NATO-Hauptquartier in Kabul erklärte, auch die Hubschrauber-Piloten hätten sich angegriffen gefühlt und deswegen in „Selbstverteidigung“ zurückgeschossen.

NATO hat sich inzwischen entschuldigt

Kurz nach dem Vorfall an der afghanisch-pakistanischen Grenze schlossen die Pakistaner aus „Vergeltung“ den Grenzübergang der Stadt Torkham nahe des für die Versorgung der NATO-Truppen in Afghanistan strategisch wichtigen Khyber-Passes. Der pakistanische Premier Raza Gilani erklärte an die NATO gewandt: „Wenn Ihr den Vorfall nicht erklärt, keine Entschädigung zahlt und euch nicht entschuldigt, dann haben wir andere Möglichkeiten.“ Die NATO hat sich inzwischen entschuldigt. Am Freitag verübten die Taliban einen Anschlag auf einen NATO-Versorgungskonvoi am Stadtrand von Shikarpur im Süden Pakistans. 27 Tankfahrzeuge gingen in Flammen auf. Die Taliban verkündeten am Samstag: „Wir werden alle eure Versorgungskonvois in die Luft jagen.“

„Mit der Logistik steht und fällt unser Einsatz in Afghanistan“, unterstrichen NATO-Offiziere in Kabul. Sie verwiesen auf den berühmten Ausspruch des preußischen Militärstrategen Carl von Clausewitz: „Druck auf die Verbindungslinien kann bewirken, dass der Glanz der herrlichsten Siege erlischt, die Kräfte abmagern, der Rückzug notwendig wird und dann nach und nach alle Symptome einer wahren Niederlage annimmt.“

„Ausweichroute“ über Russland

Drei Viertel aller Militärgüter für die alliierten Truppen in Afghanistan kommen über zwei Routen durch Pakistan, jeweils vom Hafen Karatschi aus: Über die Khyber-Pass-Region im Norden Pakistans und über die südwestliche Stadt Quetta. Über 4.000 Lkw sind auf diesen Strecken ständig unterwegs. Wegen der steigenden Gefährdung dieser Routen hat die NATO eine „Ausweichroute“ über Russland und Tadschikistan durch das Einsatzgebiet der Bundeswehr im Raum Kundus eingerichtet. Angesichts der schwierigen Versorgungswege würden in Kabul schon „gewisse Engpässe in der Versorgung für die westlichen Truppen auftreten“, erfuhr dapd aus Militärkreisen.

CIA-Angehörige ließen wissen, dass die Drohnen- und Hubschrauberangriffe auf die Verstecke und Ausbildungslager der Taliban an der pakistanischen Grenze jetzt „noch intensiviert“ werden sollen. Das habe US-Präsident Barack Obama in einem Geheim-Befehl angeordnet. Obama erhoffe sich dadurch eine „Wende“ im Krieg gegen die Taliban am Hindukusch. Sie operieren aus Pakistan heraus. Ihr Anführer Mullah Omar führt die Kämpfer von Quetta aus. (dapd)