Berlin/Kundus. Mit dem Ende des Ramadan und vor den Parlamentswahlen an diesem Samstag hat der Krieg im Norden Afghanistans an Schärfe zugenommen. Der Rückzug der Bundeswehr wird immer fraglich.
Hierzulande unbeachtet, sind die deutschen Soldaten, sagt Generalmajor Hans-Werner Fritz, „am scharfen Ende ihres Berufes“ angekommen: „Gefechte dieser Intensität und Dauer“, beschreibt der Chef des Regionalkommandos in Mazar-i-Sharif die Lage, „haben Soldaten der Bundeswehr bisher wohl noch nie geführt“.
Mangelhaft ausgebildete Helfer
Seit Wochen operieren die deutschen Kampftruppen in Gebieten weitab befestigter Feldlager, leiden unter den harten Bedingungen mit Temperaturen von mehr als 50 Grad und suchen an der Seite mangelhaft ausgebildeter afghanischer Soldaten tags wie nachts einen Gegner zu stellen, der keine Uniform trägt, nicht erkennbar ist und sich an keinerlei Regeln hält.
Was derzeit sieben Flugstunden südöstlich von Berlin im Auftrag des Bundestages abläuft, wird dort verdrängt. Entsprechend schmallippig fallen die Antworten auf bohrende Fragen aus: „Das Partnering (gemeint ist der Krieg an der Seite der afghanischen Armee) ist erst am Anfang“, sorgt sich ein Top-Beamter im Verteidigungsministerium, „was wird erst im Dezember los sein?“ Erst dann wird die Aufstockung der im Norden eingesetzten US-Truppen abgeschlossen und die volle Kampfkraft erreicht sein.
Krieg gewinnt an Härte
Die Umstellung der westlichen Strategie ist schon jetzt deutlich: Nicht die gegnerischen Taliban sind stärker, sondern die Kämpfe und direkten militärischen Konfrontationen sowie das Risiko höherer Verluste, um die „Gotteskrieger“ zu schwächen. Diese Realität haben offenbar nicht alle Wehrpolitiker in Berlin im Blick. Anders ist nicht zu erklären, dass sich vor allem Abgeordnete der SPD und der Grünen erregen, US-Spezialkommandos würden um Kundus, mitten im ureigenen Einsatzgebiet der Bundeswehr, gezielt Taliban jagen und töten. Für General Egon Ramms, den höchsten deutschen Offizier in der Nato, stehen die amerikanischen wie die deutschen Kräfte „auf dem selben Boden“: Das ISAF-Mandat, so der Vier-Sterne-General, „lässt den Einsatz aller notwendigen militärischen Mittel zu . . . bis zum Ausschalten, also Töten der Gegner“.
Sollte das in Berlin wirklich unbekannt sein? Doch ein Jahr nach den befohlenen Bomben des Oberst Klein auf zwei Tanklastwagen am Kundus-Fluss wird weiter schöngeredet und tunlichst verschwiegen, dass der Krieg an Härte gewinnt und der Abzug der deutschen Soldaten in weite Ferne zu rücken droht. „Da kann man den Zeitplan gewiss nicht aufrechterhalten“, bestätigt General Ramms, „das wird alles noch sehr lange dauern“.
Politische Stabilität ist erforderlich
Ein „zu rascher Abzug“ der Truppen, warnt auch das Londoner Institut für Strategische Studien (IISS), drohe den „Zusammenbruch Afghanistans“, dieser Nation ohne Staat, zu befördern. Einmal mehr wird nun offenkundig, welch krasser Irrtum es war, am Hindukusch keine politische Strategie zu haben, sondern fast ausschließlich auf eine militärische Lösung zu setzen. Die gibt es aber auch nach acht Jahren Krieg nicht.
Doch Afghanistan kann nicht ohne schwerwiegende Folgen vom Westen im Stich gelassen werden. Als Brutstätte islamistischen Terrors und Schlachtfeld regionaler Interessen muss dort wenigstens ein Minimum an politischer Stabilität geschaffen werden. Vordringlich bleibe es deshalb, Pakistan in die Verhandlungen über die Nachkriegs-Ära einzubinden, sagt der US-Sondergesandte Richard Holbrooke. Angesichts der Nöte, in die Pakistan wegen der Flut-Katastrophe geraten ist, stehen die Aussichten nicht schlecht, das Regime in Islamabad von einer regionalen Lösung zu überzeugen. Dazu müsste der pakistanische Geheimdienst ISI allerdings nicht länger die Taliban im Grenzgebiet unterstützen, um sich im Nachbarland eine „strategische Tiefe“ und damit Einfluss zu verschaffen.