Essen. .

Als Karl-Josef Laumann zuletzt die NRZ besuchte, war es Mai - kurz vor der NRW-Wahl. Damals war er Sozialminister. Heute ist er CDU-Fraktionschef und Oppositionsführer.

Wie geht es Ihnen ein halbes Jahr nach der Wahl? Und wie geht es der CDU?

Wenn es der CDU nicht gut geht, geht es mir auch nicht gut. Nach 39 Jahren sind wir an die Regierung gekommen, nach fünf Jahren mussten wir sie wieder abgeben - das empfinden viele in der CDU als eine schlimme Niederlage und als nicht verdient.

Woran hat es gelegen?


Der schwierige Start der Bundesregierung hat uns verheerend getroffen. Ich glaube, dass es am 9. Mai in keinem Bundesland in Deutschland noch eine Mehrheit für Schwarz-Gelb gegeben hätte. Die Leute in den Wahlkreisen haben gesagt: Weil ihr mit der FDP zusammen seid, mögen wir euch nicht mehr. Die Bundes-FDP war ein großes Problem. Die Leute haben nicht eingesehen, dass Steuersenkungen in dieser Situation sein müssen. Sie wollen lieber eine Haushaltskonsolidierung. Ich will nicht verhehlen, dass die Unterstellungen mit dem angeblichen Sponsoring der Parteitage uns geschadet haben.

Sie sagten, viele in ihrer Partei empfinden das Wahlergebnis als ungerecht…


Ja, aus folgendem Grund: Nur ganz wenige Leute sagen: Ihr habt keine gute Politik gemacht. Wir sind die Leidtragenden des Fehlstarts in Berlin.

Ist also auch die Kanzlerin Schuld?


Das Fiasko ist: Die FDP hat sich im Bundestagswahlkampf – wie auch die CSU - stark auf das Thema Steuersenkungen konzentriert. Damit hat sie ein gutes Wahlergebnis von 15 Prozent erzielt. Das hat der FDP und insbesondere Westerwelle ein noch größeres Selbstbewusstsein gegeben. Dann ist das Ziel Steuersenkungen in die Koalitionsvereinbarung gekommen – wohlwissend, dass wir keine Spielräume dafür haben.

Sie sind also in vollem Bewusstsein ins Messer gelaufen?


Die Steuersenkungen wie auch die Entlastung der Hoteliers hat Westerwelle in den entscheidenden Stunden vor Abschluss des Koalitionsvertrages mit so brachialer Gewalt gefordert, dass er daran alles aufgehängt hat.

Wenn jetzt Wahlen wären, würde das Ergebnis anders ausgehen?


Nein. Es hat sich ja auch in Berlin nichts geändert. Die Umfragen sind ja eher schlechter geworden.

Wann rechnen Sie mit Neuwahlen in Düsseldorf?


Eine Wahlperiode dauert fünf Jahre – es sei denn, Frau Kraft will eher wählen. Es gibt eine Mehrheit, den Landtag aufzulösen, wenn Frau Kraft es will. Die CDU kann gar nicht gegen die Auflösung des Landtages stimmen kann. Ich glaube aber, dass die Regierung sich mit Neuwahlen Zeit lässt. Aber ich kann mir vorstellen, dass die SPD vor einer Bundestagswahl noch eine Landtagswahl in NRW haben will.

Hängt das auch an der Frage, wie stabil die Koalition in Berlin ist?


Nein. Die ist sehr stabil. Die Ergebnisse der Politik in Deutschland können sich sehr wohl sehen lassen. Es gibt kein Land in Europa, das so gut aus der Krise gekommen ist wie wir. Das Problem ist der Weg, wie man dorthin kommt. Und außerdem: Die FDP-Kollegen wissen, dass nach einer derzeitigen Wahl nicht mehr viele von ihnen wiederkommen würden. Solche Gedanken disziplinieren.

Zurück nach NRW: Ihre Partei steht nach dem Rücktritt von Jürgen Rüttgers vor Veränderungen. Ist die CDU handlungsfähig?


Natürlich. Unsere Partei hat sich elf Jahre lang auf Jürgen Rüttgers konzentriert. Das größte Erbe, was es von Rüttgers zu verteidigen gibt, ist, dass er die CDU in NRW geeint hat. Er hat dafür gesorgt, dass der Westfalen-Rheinland-Konflikt und dieser Links-Rechts-Konflikt aufgehört hat. Und er hat der Fraktion großes Selbstbewusstsein gegeben. Das sind Dinge, die müssen wir in die neue Zeit und die neue Führung bringen. Wenn eine Partei elf Jahre lang auf eine Person konzentriert war, die sich dann zurückzieht, ist klar, dass so etwas an einer Partei rüttelt. Wir wollen in Zukunft die Führung nicht mehr nur auf einen beschränken.

Das Erbe von Rüttgers – welcher der Kandidaten kann das gewährleisten? Laschet oder Röttgen?


Das sind beides Menschen, mit denen ich das gut hinbekommen kann. Beide sind politisch ziemlich gleich aufgestellt.

Ist das ein Problem?


Nein. Wenn wir eine Debatte zwischen Sozialflügel und Wirtschaftsflügel oder zwischen Rheinland und Westfalen hätten, das wäre viel schlimmer. Es gibt einen Unterschied: Der eine ist in der Landespolitik verhaftet, hat vor fünf Jahren eine glänzende Karriere im Europaparlament aufgegeben, um in Düsseldorf Minister zu werden. Der andere ist erfolgreich in der Bundespolitik verankert. Ich glaube, dass es von Vorteil ist, dass der Landesvorsitzende auch im Landtag ist.

Wird es eine verbindliche Vorwahl durch alle Mitglieder geben?


Nein, das geht aufgrund unserer Parteisatzung nicht. Rein rechtlich ist die Entscheidung der Mitgliederbefragung aber nicht bindend für den Landesparteitag. Aber praktisch wird es verbindlich sein.

Das macht es schwer, das Ergebnis zu ahnen.


Ja. Ich weiß auch nicht, wie die Stimmung unter den Mitgliedern ist. Ich rate den Kreis- und Ortsvereinen , keine Wahlempfehlungen zu geben. Unsere Mitglieder werden sich ihr eigenes Bild machen. Sie werden eine hohe Autorität haben. Und das tut dem Vorsitzenden, der es dann wird, gut.

Machen Sie sich im Falle einer Niederlage für Laschet Sorgen um ihn? Er hat schließlich auch schon bei der Wahl zum Fraktionsvorsitz gegen Sie den Kürzeren gezogen.


Das liegt sehr daran, wie derjenige, der gewinnt, mit dem umgeht, der verliert. Zeigen Sie mir den Politiker, der in seinem Leben alle Wahlen gewonnen hat. Vielleicht gehört für einen Politiker zum Erwachsenenwerden, dass man mal verliert.

Frau Kraft hat gesagt, sie müsse mehr Schulden machen, um die schwarz-gelbe Politik aufzuarbeiten. Was halten Sie von der Neuverschuldung?


Unverantwortlich. Man muss sich mal überlegen, wen man durch die Abschaffung der Studiengebühren unterstützt. Nicht die Kinder aus sozial schwachen Familien. Alle Kinder aus sozial schwachen Familien, die den Vollsatz Bafög bekommen, zahlen keine Studiengebühren. Frau Kraft kritisiert, dass aus Facharbeiterfamilien zu wenige Kinder studieren würden. In den Familien aber haben die Kinder in der Regel auf zwei Drittel der Sätze Anspruch. Wer wird durch die Abschaffung der Studiengebühren also entlastet? Leute wie ich. Da wird eine Klientelpolitik für die Grünen gemacht, denn die haben die reichsten Wähler in NRW.

Und was halten Sie von der geplanten Abschaffung der Kindergartengebühren?


Da kommt man zum selben Ergebnis. Eltern mit geringem Einkommen sind bereits heute von Kindergartenbeiträgen befreit. Das betrifft ein Viertel aller Familien. Die Kommunen legen die Einkommensgrenzen fest. Ich hätte das Geld lieber in die Strukturen gesteckt, in kleinere Gruppen und bessere vorschulische Erziehung. Da wird Geld verschenkt und deshalb braucht die neue Landesregierung bei Haushaltsberatungen nicht mit Unterstützung von der CDU zu rechnen.

Wie sieht das bei den Kommunen aus?


Das Problem ist ein strukturelles. Wir haben aufgrund der gesellschaftlichen Entwicklung Sprengsätze in den kommunalen Haushalten liegen. In fast jeder Kommune sind die Ausgaben der Jugendämter gewaltig gestiegen. Das hängt auch mit Erziehungshilfen zusammen, zum Beispiel durch die steigende Herausnahme von Kindern aus Familien. Die Hilfen für Pflege – Demografie, längere Lebenserwartung, mehr stationäre Pflegeplätze heißt auch, dass die allermeisten mit der Rente nicht in der Lage sind, einen stationären Pflegeplatz zu bezahlen. Die Entwicklung der Eingliederungshilfe – Versorgung der geistig, körperlich schwerstbehinderten Menschen, die ständige Unterstützung brauchen. Wir sind nun die erste Generation in Deutschland, in der Menschen ein hohes Alter erreichen. Aufgrund unserer schrecklichen Geschichte – Stichwort: Euthanasie - hatten wir 1945 kaum ältere Behinderte. Die Kosten der Eingliederungshilfen sind sehr hoch. Deshalb müssen wir das Thema grundsätzlich neu ordnen. All das hätte eine Große Koalition in NRW lösen können.

Wie?


Zum Beispiel braucht man beim Thema Kommunalfinanzen ein starkes Auftreten in Berlin. Und wir hätten eine vernünftige Industriepolitik für NRW machen können. Das Kraftwerk in Datteln macht mir schon Sorgen. Dort sind bereits über 800 Millionen Euro investiert. Wenn die als Investitionsruine stehen bleiben, machen wir uns auf der ganzen Welt lächerlich.

Frau Kraft lädt Sie ja zur Mitarbeit ein…


Ich kann mich vor Einladungen nicht mehr retten. Sie benimmt sich ja wie ein Kind, das am Strand die Sandburgen aller Kinder zerstört. Wenn sie alle zerstört hat, kommt sie und fragt: Willst du mit mir spielen? Es wird ja ein CDU-Projekt nach dem anderen erst mal abgeräumt.

Was hätte eine Große Koalition sonst noch gebracht?


Man muss sehen, wie sich die Landesfraktionen zusammensetzen. Meine Fraktion besteht aus 67 direkt gewählten Abgeordneten. Davon kommen 16 aus Städten, alle anderen aus Landkreisen. Und die SPD-Abgeordneten kommen fast alle aus der Stadt. Eine Große Koalition wäre eine Koalition aus Stadt und Land gewesen, die das Thema Kommunalfinanzen im Sinne der ländlichen und städtischen Kommunen zu lösen.

Ist die Tür zur Großen Koalition für immer zu?


Die Große Koalition hat deswegen nicht stattgefunden, weil Frau Kraft in dieser nicht Ministerpräsidentin geworden wäre. Der CDU wäre niemals als Juniorpartner in diese Koalition eingestiegen. Das hat’s auch noch nie gegeben, dass die stärkste Partei das tut. Die SPD kann nicht sagen, sie hat die Wahl gewonnen. Sie hat auch das schlechteste Wahlergebnis so wie wir. Da trafen sich in Wahrheit zwei lahme Vögel. Die Tür zu einer Großen Koalition ist nicht zu. Frau Kraft kann jeden Tag diesem Land eine stabile Regierung geben.

Was wären die Bedingungen?


Wir müssen Schulfrieden schließen, die kommunale Finanzfrage klären und gescheite Industriepolitik machen.

Mit Frau Kraft als Ministerpräsidentin?


Das kann ich mir wiederum schwer vorstellen.

Wollen Sie eine Fundamentalopposition führen?


Nein. Ich will als Oppositionsführer zeigen, dass wir eine echte Alternative zur Regierung sind. Wir werden uns erheblich anstrengen müssen, ohne Apparat, den man als Opposition nicht hat, auch eigene Anträge durchzubringen und auch für etwas zu stimmen, statt nur dagegen. Wenn die Regierung gute Vorschläge hat, werden wir nicht dagegen sein.

Sie würden gern ein Volksbegehren gegen die Gemeinschaftsschule sehen?


Wenn die Regierung eine Schulpolitik macht, die dazu führt, dass das Gymnasium und die Realschule in NRW ausbluten, dann werden wir uns mit allen Mitteln – und dazu gehört ein Volksbegehren – wehren. Ich glaube außerdem nicht, dass die These längeres gemeinsames Lernen eine gute These ist. Auch wir müssen unsere Schulpolitik überdenken. Ich glaube, wir sollten mehr in vorschulische Bildung investieren.

Die Vorschläge der Grünen und der SPD, den Ladenschluss einzudämmen, müssten doch in Ihrem Sinne liegen?


Das Ladenschlussgesetz, was wir gemacht haben, hat sich bewährt. Auch wenn die Geschäfte außer sonntags rund um die Uhr geöffnet haben dürfen, findet das nicht statt. Die meisten Geschäfte haben um 20 Uhr zu, in großen Centern um 22 Uhr. Und da will Rot-Grün auch nicht dran. Also wollen sie Dinge regeln, die man nicht regeln muss. Das ist Aktionismus.