Essen/Paris. .

In Europa leben etwa zehn Millionen Roma – also mehr als es Österreicher, Slowenen oder Dänen gibt. Doch im Gegensatz zu diesen haben die Roma keinen eigenen Staat. Die Volksgruppe lebt verteilt auf dem gesamten Kontinent und stellt überall eine Minderheit dar, die sich häufig Diskriminierungen ausgesetzt sieht. Vor allem in Osteuropa – Rumänien, Bulgarien, Ungarn oder dem Kosovo – leben sie seit vielen Jahren arm und ausgegrenzt am Rande der Gesellschaft.

Aber auch in Westeuropa scheint die Jagd auf die Roma eröffnet. In Frankreich hat jüngst Präsident Nicolas Sarkozy den Roma den Krieg erklärt und bereits knapp 50 der etwa 600 als illegal bezeichneten Lager räumen lassen. Dabei machte er sogar vor den eigenen Staatsbürgern keinen Halt: „Gens du voyage“, „Fahrendes Volk“ – das sind in diesem Fall anständige Kaufleute, die, wie schon ihre Vorfahren, Wochen- und Jahrmärkte im ganzen Land ansteuern. Sie bleiben ein oder zwei Wochen, dann geht die Reise weiter. „Wir sind bis auf einige Belgier allesamt Franzosen, wir sind im Handelsregister eingetragen und zahlen unsere Steuern“, sagt James Dubois, der Präsident der Landfahrer-Vereinigung der Nachrichtenagentur Reuters.

In Dänemark hat der sozialdemokratische Bürgermeister Kopenhagens beschlossen, die dort lebenden rund 400 Roma abschieben zu lassen, wenn nötig mit Gewalt. „Die Situation ist unerträglich”, sagte er der Zeitung Politiken. Er bezog sich auf die gestiegene Einbruchsrate in den Vierteln, in denen die Roma lebten. Das Sicherheitsgefühl der Nachbarn sei zu sehr beeinträchtigt. Belgien geht anders vor: Die flämische Regierung verlegte mehrere Roma-Lager ins benachbarte Wallonien.

Mittel für Hilfsprojekte werden nicht abgerufen

Dramatischer ist die Lage der Roma in Ungarn. Dort werden sie in Regionen wie Pest ebenfalls für Überfälle und Einbrüche verantwortlich gemacht. In der jüngsten Vergangenheit kam es immer wieder zu massiven Übergriffen und Mordanschlägen. „Der wachsende und gewalttätige Rassismus und Antiziganismus gegen Roma in Ungarn hat in den vergangenen drei Jahren zu elf Todesopfern unter den Roma geführt”, heißt es in einer Pressmeldung des Zentralrats der deutschen Sinti und Roma. In einem besonders schlimmen Fall südlich von Budapest sind ein Vater und sein vier Jahre alter Sohn erschossen und die Mutter sowie die beiden anderen Kinder verbrannt worden. Menschenrechtsorganisationen berichten zudem von Diskriminierungen bei der Jobsuche oder bei der Wahl des Wohnorts.

„Aus dieser Ausgrenzung heraus gibt es auch immer wieder Konflikte mit dem Gesetz. Wer an den Rand gedrängt wird, verhält sich irgendwann auch so”, berichtet Volker Maria Hügel, Vorstand des Flüchtlingsrats NRW. Im Kosovo etwa seien Roma in bleiverseuchten Lagern untergebracht, in Rumänien müssen sie am Rande von Müllkippen hausen und Berge von Unrat nach Essbarem oder Wiederverwertbarem durchsuchen, um zu überleben.

Und das, obwohl die Europäische Union von 2007 bis 2013 insgesamt 32 Millionen Euro für Hilfsprojekte für die Roma in Rumänien zur Verfügung stellt. Doch die, so berichtet die französische Zeitung Le Monde, werden entweder gar nicht erst abgerufen oder nur verwaltet, aber eben kaum verwendet. Diese Gelder, unter anderem aus dem Europäischen Sozialfonds, sollen helfen, dass Roma leichter an eine Wohnung kommen und besser in den Arbeitsmarkt integriert werden.

Drogenhandel und Prostitution gestiegen

Geschieht dies in ihren Herkunftsländern nicht, bleibt als letzte Hoffnung häufig nur noch die Emigration. Seit dem Eintritt von Bulgarien und Rumänien in die Europäische Union 2007, hat der Zuzug nach Angaben des Statistischen Bundesamtes aus diesen Ländern nach Deutschland stark zugenommen. Aus Bulgarien zogen 2006 noch 7655 Menschen zu, 2009 bereits 28 890, bei den Rumänen stieg die Zahl von 23 844 auf 56 424.

Wenngleich die Städte in ihren Statistiken nur die Herkunft, aber nicht die Ethnie ausweisen, haben sich Frankfurt, Köln und das Ruhrgebiet zu beliebten Anlaufzielen für Roma entwickelt, berichtet die Leiterin der Kölner Ausländerbehörde Dagmar Dahmen. Mit allen Begleiterscheinungen: Prostitution, Drogen- und Menschenhandel sind nach Angaben der Polizei zum Beispiel in der Dortmunder Nordstadt seit 2007 gestiegen. Berichte über Klau-Kids und organisierte Bettler-Banden in deutschen Städten kennt Volker Maria Hügel auch. Er warnt jedoch davor, alle Roma über einen Kamm zu scheren und sie als Verbrecher-Volk zu stigmatisieren.

Während die Rumänen und Bulgaren in Deutschland ein Bleiberecht haben, müssen die Flüchtlinge der Balkankriege der 90er-Jahre nach jahrelanger Duldung wieder zurück nach Bosnien, Serbien oder in den Kosovo. Darunter auch viele Kinder, die in Deutschland geboren und zur Schule gegangen sind. 14 000 Kosovaren, darunter 10 000 Roma, werden abgeschoben, hat die Bundesregierung beschlossen. „Im Kosovo erwartet sie ein Leben in Armut ohne familiären Anschluss. Zum Teil sprechen sie noch nicht einmal die Sprache und sie sind der Willkür der albanischen Mehrheit ausgesetzt. ”, sagt Volker Maria Hügel.