Bagdad. .
Mindestens 60 Menschen sind in Bagdad bei dem bisher schwersten Selbstmordanschlag seit Jahresbeginn uns Leben gekommen. Wie das Verteidigungsministerium in Bagdad mitteilte, sprengte sich der Attentäter am frühen Morgen vor einem Rekrutierungsbüro der Armee im Viertel Baab el Muatham im Zentrum der Hauptstadt in die Luft.
Die Mehrzahl der Opfer waren junge Männer, die sich für den Militärdienst bewerben wollten. 125 von ihnen wurden verletzt. Unter den Wartenden brach Panik aus, Wachsoldaten feuerten in die Luft. Überlebende fragten, wie es dem Attentäter gelingen konnte, auf das Gelände zu kommen und mit der Sprengladung die beiden Eingangskontrollen zu überwinden.
Solche Sicherheitspannen nähren zwei Wochen vor dem Abzug der US-Kampftruppen im irakischen Volk die Zweifel, ob ihre Sicherheitskräfte der Gewalt von El Kaida und ihrer Verbündeten überhaupt gewachsen sind. Auch Bagdads Oberbefehlshaber, General Babaker Zebari, hatte den Abzug der Amerikaner zuletzt immer wieder als „voreilig“ bezeichnet. Die irakische Armee könne erst ab 2020 eigenständig für Sicherheit im Lande sorgen, erklärte er. Trotzdem ist US-Präsident Barack Obama entschlossen, seine Kampftruppen in zehn Tagen endgültig abzuziehen. Zurück bleiben 50 000 Mann, die noch bis Ende 2011 die irakische Seite ausbilden.
Gezielte Anschläge auf Polizisten
Ein Sprecher der Streitkräfte machte El Kaida für das Attentat verantwortlich. Nach Angaben von Augenzeugen hatten sich die 1000 Bewerber gerade in Gruppen aufgestellt, sortiert nach dem Niveau ihrer Schulbildung, als sich der Terrorist im Pulk der Oberschüler in die Luft sprengte.
Gezielte Anschläge auf Soldaten und Polizisten haben in letzter Zeit auffällig zugenommen, um Unsicherheit und Panik in den Sicherheitskräften zu verbreiten und den Terroristen so mehr Bewegungsspielräume zu verschaffen. Allein in der letzten Woche wurden elf Verkehrspolizisten ermordet und 24 verletzt. Einige wurden aus fahrenden Autos heraus erschossen, andere starben durch Bomben, die an ihren Wachhäuschen oder unter ihren Autos befestigt worden waren.
Am Wochenende wurden zwei Beamte in ihrem Dienstwagen hingerichtet, mit Benzin übergossen und auf offener Straße verbrannt. Die Sicherheitsbehörden haben inzwischen begonnen, alle Verkehrspolizisten mit schusssicheren Westen und AK-47-Gewehren auszurüsten.
Regierung nicht in Sicht
Mitursache für die wachsende Verunsicherung im Land ist aber auch die politische Lähmung in Bagdad. Fünf Monate nach den Wahlen ist immer noch keine neue Regierung in Sicht. Das Parlament hatte sich Mitte Juni nach einer einzigen zwanzigminütigen Sitzung auf unbestimmte Zeit vertagt. Und zwischen den beiden Hauptrivalen, Ex-Premier Iyad Allawi und Ex-Regierungschef Nuri al-Maliki, gibt es trotz heftigen Drucks der USA keinerlei Annäherung. So kündigte Allawis Parteienbündnis „Iraqiyya“ am Vortag des Bombenanschlags alle politischen Gespräche mit dem gegnerischen Maliki-Lager auf. Der bisherige Regierungschef habe „Iraqiyya“ in einem TV-Interview beleidigt, hieß es zur Begründung. Die überkonfessionelle „Iraqiyya“ könnte nun versuchen, mit dem bisherigen Vizepräsidenten Adil Abdul-Mahdi einen eigenen Kompromisskandidaten zu präsentieren, der auch für Teile von Malikis schiitischer „Allianz für den Rechtsstaat“ wählbar ist.
Trotz allem gibt sich Washington ungerührt optimistisch. „Irak ist auf dem richtigen Weg“, hieß es aus dem Weißen Haus – allerdings vor dem jüngsten Anschlag.