Johannesburg. .

Wenn wir Franz Beckenbauer eine „Lichtgestalt“ nennen und Johannes Rau einen „Versöhner“, welches Wort ist dann angemessen, um Nelson Mandela zu beschreiben?

Einen Mann, dem es gelungen ist, viele Menschen im vom Rassenhass geteilten Südafrika zu vereinen und das Unrechtssystem Apartheid gewaltfrei abzulösen. Fast 30 Jahre lang hatte ihn dieses Regime ins Gefängnis gesperrt, doch bei seiner Freilassung 1990 war Mandela frei von Hass und Rachegelüsten. Mit Weitblick und einer Haltung des Verzeihens bildete er 1994 für den Afrikanischen Nationalkongress (ANC) zusammen mit dem letzten Apartheid-Präsidenten Frederik de Klerk von der National Partei (NP) eine Regierung. Zudem machte er den Führer der radikalen Zulus von der Inkatha Partei (IFP), Mangosuthu Buthelezi, zum Innenminister, womit auch diese Bevölkerungsgruppe ihren Vertreter in der Regierung hatte. Experten sagen, dass Mandela damit womöglich einen Bürgerkrieg verhindert habe.

Südafrika ist seitdem politisch stabil. Heute regiert Präsident Jacob Zuma Südafrika mit absoluter Mehrheit. Sein ANC gewann die Wahlen 2009 mit 66 Prozent der Stimmen. Doch 16 Jahre nach Mandelas Amtsantritt und trotz wirtschaftlichen Aufschwungs sind die Probleme noch dieselben. Etwa 5,5 Millionen der 48 Millionen Südafrikaner sind HIV-infiziert und knapp die Hälfte der Einwohner lebt unterhalb der Armutsgrenze.

Zudem ist der einstige Apartheidsstaat trotz vieler Annäherungen noch tief gespalten, was sich in jüngster Zeit im Fall des ermordeten rechtsradikalen Burenführers Eugène TerreBlanche und den Umtrieben des Chefs der Jugendliga des regierenden ANC, Julius Malema, zeigte. Der populistische Schreihals Malema pflegt die Animositäten schwarzer Habenichtse gegenüber den mehrheitlich noch immer weißen Wohlsituierten genauso rücksichtslos für seine politischen Zwecke auszunutzen wie die Rechtsradikalen die Furcht der weißen Minderheit: Sollten die Brandstifter erfolgreich sein, wäre der prekäre Waffenstillstand zwischen den unterschiedlichen südafrikanischen Bevölkerungsgruppen zusammen mit Nelson Mandelas Vision von der bunten Regenbogennation perdu.

Auch im Sport herrscht noch immer die Apartheid. Cricket und Rugby gelten als die Sportarten der Weißen, während in einem Fußballstadion kaum ein weißes Gesicht zu sehen ist. In einem atemberaubenden politischen Hasardeurstück, das in dem Clint-Eastwood-Film „Invictus“ zu bewundern ist, gelang es Nelson Mandela während der Rugby-WM 1995, die schwarze Bevölkerung hinter den bleichen Symbolen des einstigen Rassistenstaates zu vereinen: Als die mehrheitlich burischen „Springböcke“ ein Jahr nach den ersten demokratischen Wahlen den Weltmeistertitel holten, feierte die Nation zum ersten Mal in ihrer 100-jährigen Geschichte gemeinsam einen Sieg.

Weiß jubelt für Schwarz

Ein vergleichbares identitätsstiftendes Erlebnis hätte der labile Staat jetzt wieder dringend nötig: Nur dass sich dieses Mal die weiße Minderheit hinter den schwarzen Kickern versammeln müsste. Vertraut man der Zahl der südafrikanischen Flaggen, die schon heute überall im Land auch aus schweren Limousinen hängen, wäre das durchaus möglich.

Sollte Südafrika jedoch bereits früh scheitern, würde von den weißen Kap-Ländern ein weiterer Schritt in der Verbrüderung mit ihren dunkelhäutigen Landsleuten verlangt: Sie müssten statt England oder Holland eines der afrikanischen Teams unterstützen, die in Gestalt der Ivorer, Ghanaer oder Kameruner erstmals bis ins Halbfinale vordringen könnten. Zehntausende von weißen Afrikanern, die bei einem Sieg Ghanas über England im Viertelfinale der ersten afrikanischen WM jubelnd auf die Johannesburger Straßen strömen: Es wäre die Geburtsstunde eines neuen Afrika.