München. .

Margot Käßmann meldet sich zurück. Drei Mo­nate lang war es ruhig um die frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland und Landesbischöfin. Doch jetzt ist sie wieder da. Sie hat die öffentliche Bühne mit einer handfesten ökumenischen Provokation be­treten. Ausgerechnet auf dem zweiten Ökumenischen Kirchentag in München, bei dem es eigentlich um die Zu­sammenarbeit zwischen Ka­tholiken und Protestanten ge­hen soll, lobte die evangelische Pfarrerin die Vorzüge der Pille. Sie nannte die Pille „ein Ge­schenk Gottes“. Ausdrücklich warnte die Mutter von vier Töchtern davor, Geburtenkon­trolle und Verhütung zu verteufeln – und das alles im Liebfrauendom, einem der be­rühm­testen katholischen Gotteshäuser und Münchner Bi­schofskirche. Katholiken sind künstliche Verhütungsmittel wie die Pille verboten.

Etwas Anrüchiges habe die Pille bei der Einführung vor 50 Jahren gehabt, sagte sie. Die Kirchen seien nicht begeistert gewesen. „Es geht aber um Liebe und um verantwortungsvolle Elternschaft“, lobte sie. Es gehe auch um „Erhaltung von Leben, um Freiheit, die nicht gleich in Pornografie ausarten muss, so sehr die Sexualisierung unserer Gesellschaft na­türlich ein Problem ist.“

Die Wirkung ihrer Worte dürfte Margot Käßmann einkalkuliert haben. Denn an kaum einem anderen Ort als auf einem Kirchentag erhalten solche Aussagen eine so große Aufmerksamkeit. Doch die ka­tholische Seite ließ sich nicht provozieren – oder hatte be­schlossen, sich nicht provozieren lassen zu wollen. Weder öf­fentlich noch im vertraulichen Gespräch gab es eine Reaktion. Es klang ganz nach dem Motto: „Margot wer?“

Margot Käßmann ist schließlich ohne Amt in der Kirche, ihre Aussagen wurden daher vielleicht eher wie die einer Privatperson aufgenommen. Einzig Nikolaus Schneider, rheinischer Präses und ihr amtierender Nachfolger im Amt des EKD-Ratsvorsitzenden, interpretierte ihre Aussagen, sehr umsichtig. Die Pille, erklärte er im Gespräch mit der WAZ, sei von Menschen erfunden, keine Gabe Gottes. Die Sexualität hingegen sei ei­ne „gute Gabe Gottes“. Die Pille sei für viele eine Möglichkeit, verantwortungsvoll da­mit umzugehen.

Minutenlanger Applaus

Mit einem Paukenschlag kehrte die einstmals beliebteste Bischöfin Deutschlands nun zurück. Sie hatte sich zu­rückgezogen, weil sie im Februar betrunken Auto gefahren war und eine Kreuzung bei Rot überfahren hatte. Von allen kirchlichen Ämtern war sie da­raufhin zurückgetreten. Doch auf dem Ökumenischen Kirchentag erlebte sie ihr persönliches Comeback vor tausenden Anhängern.

Bei ihrem ersten Auftritt, ei­ner Bibelarbeit, wurde sie frenetisch gefeiert. Als sie die Messehalle C 1 betreten hatte, applaudierten die gut 6000 Teilnehmer Minuten lang. „Danke, das tut mir gut“, antwortete sie ihnen. Eine Stunde lang legte sie die Schöpfungsgeschichte aus, sprach über Noah und die Sintflut. Es war eine Bibelarbeit, die sich durch theologische Tiefe und klare Sprache auszeichnete. Und die viele persönliche Bezüge zu ihrem eigenen Leben hatte. „Wir kennen als Christinnen und Christen keinen Gott, der nur das Perfekte gelten lässt und alles andere verachtet“, hatte sie beispielsweise gesagt. Und es war ja nicht zuletzt die Art und Weise, wie sie mit ih­rem eigenen Fehltritt, ihrem „Unperfekt-Sein“, umgegangen ist, die ihr so großen Respekt eingebracht hat. Auch da­für feierten sie Margot Käßmann. Der Ökumenische Kirchentag, das war auch ihr Kirchentag.