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Zum ersten Mal tritt bei der Landtagswahl in NRW eine Partei an, die fast ausschließlich von Muslimen gegründet wurde. Mit Religion hat das nichts zu tun, sagt der Vorsitzende Haluk Yildiz. Mobilisiert hat die Migranten vielmehr das Gefühl, in anderen Parteien wie Außenseiter behandelt zu werden.
„BIG“ heißt die Partei. Das ist doppeldeutig gemeint. Ein „Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit“ soll sie sein. Aber sie soll auch groß werden, so groß, dass sie in ein paar Jahren sogar in den Bundestag einziehen könnte. Das wäre eine Sensation. Denn „BIG“ ist die erste Partei Deutschlands, die fast ausschließlich von Muslimen gegründet wurde.
Zum ersten Mal tritt die Migranten-Partei bei der Landtagswahl in NRW an. Sie hat nach eigenen Angaben inzwischen mehr als 400 Mitglieder und 12 Kreisverbände. Weitere Landesverbände in Berlin, Bremen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sollen bald gegründet werden. DerWesten sprach mit dem Vorsitzenden Haluk Yildiz über das Programm, die Rolle der Religion und die schwierige Position der Migranten in anderen Parteien. Der 42-jährige Unternehmensberater ist Direktkandidat für Duisburg.
Warum brauchen Migranten in NRW eine eigene Partei? Fühlen Sie sich durch die etablierten Parteien nicht vertreten?
Haluk Yildiz: Das betrifft nicht nur Migranten. Viele Menschen in NRW fühlen sich von den Parteien nicht angesprochen. Wir hatten bei der letzten Landtagswahl eine Beteiligungsquote von 63 Prozent. Das bedeutet, dass fast 40 Prozent der Bürger mit der Politik in NRW nicht zufrieden sind. Da läuft einiges schief.
Was machen die Parteien falsch?
Yildiz: Wir haben mittlerweile eine multikulturelle Gesellschaft. Doch deren Anforderungen wird die Politik längst nicht gerecht. In der Familien-, Integrations- und Arbeitsmarktpolitik werden viele Fehler gemacht. Da gibt es erhebliche Ungleichgewichte zu Lasten von sozial Benachteiligten. Und dazu gehören überproportional viele Migranten.
Die Sorge für sozial Benachteiligte haben sich aber auch die Linken auf die Fahne geschrieben. Was unterscheidet Sie von denen?
Yildiz: Sehr viel. Die Linkspartei ist ideologisch geprägt, wir verstehen uns dagegen als Realpolitiker. Wir sind pragmatisch und ideologiefrei. Wir sind der Meinung: Politik kann man weder rechts noch links machen, sondern nur richtig oder falsch. Wenn die Linken fordern, Hartz IV abzuschaffen, dann ist das eine linkspopulistische Forderung. Dann muss man direkt fragen: Wie soll das finanziert werden?
Wäre es nicht sinnvoller, wenn Migranten in die bestehenden Parteien eintreten und dort mitwirken?
Yildiz: Das wäre denkbar, wenn dort die Türen für Migranten offen stehen würden. Aber das ist nicht so. Über 80 Prozent unserer Mitglieder haben vorher jahrelang bei Parteien mitgearbeitet und sind bitter enttäuscht worden. Viele sind aus der SPD und der CDU zu uns gewechselt. Sie konnten sich mit der Politik dort nicht identifizieren. Menschen mit Migrationshintergrund werden oft dazu benutzt, Stimmen zu ergattern. Aber die meisten gehen in ihrer Partei unter. Man bleibt der Außenseiter, der irgendeine Minderheit vertritt. Und hat auch an der Basis kaum Rückendeckung. Es sei denn, die Migranten sind sehr angepasst und unterscheiden sich nur durch ihren Namen von anderen Parteimitgliedern. Dann hat man vielleicht eine geringe Chance.
Wo würden Sie Ihre Partei im politischen Spektrum ansiedeln?
Yildiz: Wir haben von allen Parteien sicherlich etwas. Wir vertreten Standpunkte der Linkspartei, ebenso wie solche der SPD oder der CDU. Wir sind eine Querschnittspartei. Es geht uns immer um pragmatische Lösungen, egal, ob sie von links oder von rechts kommen.
Was sind die Hauptanliegen Ihrer Partei?
Yildiz: Unsere Schwerpunkte sind Bildung, Familie, Wirtschaft, Integration, Innere Sicherheit und politische Partizipation. In diesen Bereichen muss noch sehr viel getan werden. Bildung steht jedoch für uns an erster Stelle. Wir fordern mehr Lehrer, kleinere Klassen und multilinguale Sprachförderung für Kinder. Es macht Sinn, dass türkisch-stämmige Kinder auch die türkische Sprache erlernen können.
Sind Sie denn auch – wie SPD, Grüne und Linkspartei – für längeres gemeinsames Lernen?
Yildiz: Auf jeden Fall. Viel wichtiger ist aber noch, dass man die Kinder schon früh dort abholt, wo sie stehen. Dazu müssten viel mehr Lehrer mit interkulturellen Kompetenzen eingestellt werden.
Sie fordern, dass Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland ihre kulturelle Identität ausleben dürfen. Gibt es auch Grenzen?
Yildiz: Alles, was das Grundgesetz vorschreibt, müssen die Bürger beachten. Das Tragen eines Kopftuches zum Beispiel wird durch die Religionsfreiheit im Grundgesetz gedeckt. Bei der Zwangsheirat muss man dagegen genauer hinschauen und fragen, wer bestimmt, ob es eine Zwangsheirat ist oder nicht. Wenn es eine Heirat gegen den Willen der Frau oder des Mannes ist, dann ist das natürlich absolut zu verurteilen. Aber wenn es sich um eine arrangierte Ehe handelt, mit der beide einverstanden sind, besteht natürlich kein Problem. Es gibt noch nicht einmal 0,01 Prozent Zwangsheiraten.
Die meisten Mitglieder Ihrer Partei sind Muslime. Welche Rolle spielt das für Ihre Partei-Arbeit?
Yildiz: Wir haben uns ausdrücklich dafür ausgesprochen, dass Religion nicht Inhalt unserer Arbeit ist und auch nicht sein darf. Wir haben nicht nur Muslime, sondern auch Christen in der Partei. Gleichwohl liegen unserer Politik bestimmte Wertvorstellungen zugrunde. Und die fließen natürlich ein, wenn es beispielsweise um unsere familienpolitische Ausrichtung geht. Da haben wir ein bestimmtes Bild, das wir in die Politik transportieren möchten. Aber nicht im Sinne der Theologie, sondern im Sinne der Ethik.
Die Grundlage ihrer Politik ist die Familie als Zusammenschluss von Frau und Mann. So steht es in ihrem Grundsatzprogramm. Welche Rolle sollten gleichgeschlechtliche Partnerschaften spielen?
Yildiz: Gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften halten wir für legitim. Der Anspruch auf eine komplette Gleichstellung mit der Ehe ist jedoch problematisch. Der besondere Schutz der Familie als Rückgrat der Gesellschaft sollte bestehen bleiben. Da vertreten wir die gleiche Position wie die CDU.
Welches Ziel peilen Sie an: Sehen Sie sich eher als Protestpartei, die auf bestimmte Themen aufmerksam macht, oder als Gruppierung mit der Chance, irgendwann sogar mitzuregieren?
Yildiz: Unser Anspruch ist es, in den nächsten fünf Jahren unter die ersten sechs und in den nächsten zehn Jahren unter die ersten vier Parteien in Deutschland zu kommen. Und hoffentlich dann auch bald mitzuregieren.