Berlin.
Das Vorbild für den virtuellen Schandpfahl, den der Duisburger Polizeigewerkschafter Rainer Wendt auch in Deutschland aufgestellt wissen will, kommt aus Amerika. Ausgelöst durch aufsehenerregende Missbrauchs- und Tötungsdelikte an Kindern, hatten sich die Eltern des elfjährigen Jacob Wetterling, der 1989 entführt worden war, für ein Gesetz eingesetzt, das schließlich 1994 eingeführt wurde: eine polizeiliche Registrierungspflicht für Sexualstraftäter.
Als im selben Jahr die siebenjährige Megan Kanka in New Jersey bestialisch ermordet worden war, beschloss der US-Kongress 1996, dass sämgliche Bundesstaaten ihre Bürger über Sexualstraftäter in der näheren Umgebung informieren müssen. Gesetze, die als „Megan’s Law“ bezeichnet werden, ermöglichen seither jedem Amerikaner, selbst nachzuforschen, ob ein Triebtäter in der Nachbarschaft wohnt.
Das Internet macht es einfach. Man tippt seine Postleitzahl in eine Suchmaske ein, und der Computer spuckt eine Liste aus: mit Foto, voller Anschrift und Autokennzeichen. Fast 675 000 US-Bürger stehen mittlerweile in diesen Verzeichnissen. Bei weitem nicht alle haben schwere Straftaten begangen.
Die leichte Verfügbarkeit der Daten von Sexualstraftätern kommt in Amerika oder England einigen Medien sehr gelegen. Die „sexual predators“, die so genannten Sexraubtiere, liefern gut verkäufliche Schlagzeilen.
Hier zu Lande wurden entsprechende Vorstöße stets kontrovers und mehrheitlich ablehnend beschieden. Als der damalige Innenminister in Sachsen, Albrecht Buttolo (CDU), 2007 die Einrichtung einer „für jedermann zugänglichen Sexualstraftäterdatei“ ankündigte, gab es Empörung und wütende Proteste auch an der eigenen Parteibasis. Namen und Adressen von Sexualstraftätern in den jeweiligen Wohngebieten bekannt zu machen, könne als „Einladung zur Selbstjustiz“ verstanden werden, hieß es seinerzeit im Dresdener Landtag – mit Verweis auf amerikanische Erfahrungen. So hatte der Ostküstenstaat Maine 2006 seine Triebtäterdatei wieder aus dem Netz genommen. Der Grund: Zwei darin registrierte Sexualstraftäter waren erschossen worden. Einer von ihnen hatte sich zu Schulden kommen lassen, als junger Mann mit einer 15-Jährigen geschlafen zu haben.
Als formales Kern-Argument gegen den Internet-Pranger wird in Deutschland von Politikern wie Juristen meist der Persönlichkeitsschutz angeführt.
Recht auf die Ehre
Er ist im Grundgesetz Artikel 5 Absatz 2 festgeschrieben. Danach hat jeder Mensch – egal ob unschuldig oder vorbestraft – das Recht auf persönliche Ehre. Ein Internet-Pranger komme einer „sozialen Bestrafung durch Diskreditierung und potenzielle Stigmatisierung der Betroffenen gleich“, heißt es im Umfeld des Datenschutzbeauftragten.
Starken Auftrieb hat die Debatte durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechtsfragen in Straßburg erhalten. Danach müssen zahlreiche Sexual- und Gewalttäter, die nach ihrer verbüßten Haft in Sicherungsverwahrung sitzen, freigelassen werden.
Der Hintergrund: Sicherungsverwahrung war in Deutschland früher auf zehn Jahre begrenzt. 1998 hob der Bundestag diese Begrenzung auf. In vielen Fällen sollten Sicherungsverwahrte nun unbegrenzt in Verwahrung bleiben, obwohl sie vorher nur zu höchstens zehn Jahren verurteilt worden waren. Diese rückwirkende Änderung verstößt nach dem Urteil des Straßburger Gerichts gegen grundlegende Menschenrechte. Der Spruch ist seit Mai dieses Jahres in Kraft. Allerdings ist eine Freilassung in zahlreichen Fällen überhaupt noch nicht sicher. In strittigen Fällen wird der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs entscheiden müssen.