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Vor kurzem erklärte Mark Zuckerberg, 26-jähriger Gründer und Vorstandsvorsitzender des besonders von jungen Leuten gefeierten Online-Netzwerks Facebook, er finde Privatsphäre nicht mehr zeitgemäß. Privatsphäre, so sagte der weltweit jüngste Internet-Milliardär in einem Interview, sei ein heute überholtes Konzept, weil immer mehr Nutzer immer mehr von sich persönlich im globalen Netz preisgeben. Er findet das super, es sei der Geist der neuen Zeit.

Treffender kann man das Internet nicht beschreiben. Alte, vertraute Grenzen lösen sich auf, bis ins Intimste hinein. Es bietet uns grenzenlose Information, aber auch Raum für übelste Niederträchtigkeiten bis zur weltweiten Verbreitung von Kinderpornografie. Im Netz surfen Datenjäger nach Opfern für Gesinnungsschnüffelei, doch das Netz knüpft auch Kontakte in einer Breite wie nie. Es revolutioniert die Ökonomie, für viele Branchen wird der Arbeitsmarkt global. Es reißt Mauern ein, mit denen sich Religionen und Kulturen umgeben und kann so Brücken bauen – oder Konflikte schaffen, siehe Mohammed-Karikatur.

Ein Universum der verwirrenden Fülle von Daten, Informationen und noch unerkannten Entwicklungspotenzialen hat die Privat-, Alltags- und Berufswelt revolutioniert. In dem Buch „2020 – Gedanken zur Zukunft des Internets” (s. Kasten) haben sich prominente Autoren mit gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Folgen des Netzes befasst. Um Einschätzungen geht es, die sich zwischen euphorischer Zustimmung und kulturkritischer Skepsis bewegen. Wie die des Zukunftsforschers Prof. Horst Opaschowski, der im falschen Internet-Umgang den Keim für „Konzentrationsmängel“ sieht und – gerade bei Jugendlichen – wachsende Aggressivität. Und der einen offenbar resignierenden FAZ-Herausgeber Frank Schirrmachher mit den Worten zitiert: „Mein Kopf kommt nicht mehr mit.”

Und hat nicht Jeff Jarvis von der Universität New York City Recht, wenn er von einer „explodierenden Macht des Publikums” spricht, das nicht mehr nur Zuschauer ist, sondern das jenseits aller üblichen Regeln und Handlungsabläufen via Internet selbst Themen setzt, wie jene britischen Arbeiter, die via Internet Proteststreiks gegen den Ölkonzern Total organisierten – an den Gewerkschaften vorbei?

Wird also die Macht von Online-gestützten Massen dazu führen, dass sich Verhältnisse umkehren? Dass die Politik, die bisher die Linie vorgab, sich immer mehr nach dem richtet (richten muss), was jene Masse ihr quasi diktiert, weil sie sonst Macht einbüßt. Werden die klassischen Meinungsbildenden in Zeitungs-, Rundfunk-, TV-Häusern von der Macht der Blogger und Twitterer überrollt?

Gerade den Medien ist mit dem Internet eine große Herausforderung erwachsen. Wie sieht ihre Zukunft aus, wenn Internet-Nutzer vor allem den Infos von Chatrooms und Bloggern folgen; wenn sie Informationen mit „Tunnelblick“ nur gezielt nach eigenen Interessen aussuchen, und alles andere an Weltgeschehen ignorieren?

Medienmacher wie Bodo Hombach, Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe, und Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer AG, sind sich sicher: „Im Rausch des Neuen mag die Quantität als Qualität erscheinen, bald aber bedarf es dann doch der Kriterien und Verlässlichekeit eines professionellen Journalismus”, sagt Hombach und Döpfner meint, die „Sehnsucht nach Orientierung“ sei nicht kleiner geworden: „Ich bin sicher, sie wird langfristig sogar noch größer.”

Zu ungestüm ist die Internet-Entwicklung, um belastbare Prognosen zu wagen, so bleiben meist Fragen zurück. Und doch eine Gewissheit: Wenn Prof. Jarvis mit seiner Ansicht – „Es kommt der Tag, an dem man als antisozial angesehen wird, wenn man persönliche Daten nicht veröffentlicht” – Recht bekäme, es würde wohl eine schäbige, schrille neue Welt.