Berlin/Essen.

Es mutet fast wie seherische Kraft an. Das ZDF strahlt am kommenden Mittwoch, 7. April, zur nachtschlafender Zeit gegen 0.35 Uhr eine Reportage aus, die sich nach dem gestrigen Tag in Kundus niemand entgehen lassen sollte: „Die Afghanistan-Lüge – die Soldaten, die Politik und der Krieg“, heißt der Film. Er bindet die vielen losen Enden zusammen, die der Bürgerkrieg am Hindukusch in den vergangenen Monaten in Deutschland hinterlassen hat: Luftangriff. Oberst Klein. Zivile Opfer. Ein Minister-Rücktritt. Die Kapriolen seines Nachfolgers. Untersuchungsausschuss. Ein neues Mandat für die Truppe, die bald auf 5350 Soldaten anwachsen darf, vieles mehr.

Nur noch beiläufig nahm die Öffentlichkeit Notiz, dass im Verantwortungsgebiet der Bundeswehr im Norden Afghanistans schon seit Wochen verstärkte Aktivitäten der Taliban zu beobachten waren – in Form von teils stundenlangen Feuergefechten und immer ausgeklügelteren Sprengfallen. Gestern, so berichten es Augenzeugen, geriet eine deutsche Patrouille im Unruhedistrikt Char Darah nahe des deutschen Feldlagers Kundus in einen Hinterhalt.

Mehrere Dutzend Aufständische attackierten die zur Minensuche abgestellten Fachleute. Drei Soldaten wurden erschossen, fünf weitere sind „in sehr kritischem Zustand“, wie ein Militärsprecher gestern dieser Zeitung sagte; ein Fahrzeug vom Typ „Dingo“ war auf eine Sprengfalle gefahren. Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP), der sich gestern in anderer Mission im militärisch komplett beruhigten Hauptquartier des Regionalkommandos Nord in Masar-i-Scharif aufhielt, bekam von den Zwischenfällen nichts mit. Verteidigungsminister zu Guttenberg brach seinen Urlaub ab und erklärte: „Ich bin in Gedanken und Gebeten bei den Soldaten und ihren Familien. Angesichts von Gefechten dieses Ausmaßes wird deutlich, wie gefährlich der gleichwohl notwendige Einsatz in Afghanistan ist.“

In dem ZDF-Filmbeitrag, lange aufgenommen vor den tragischen Ereignissen, rechnet der frühere Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) mit seinen Nachfolgern und den sie tragenden Regierungen schonungslos ab. Die lange übliche Bewertung des Afghanistan-Einsatzes als Friedens- und Stabilisierungsmission sei die „Lebenslüge“ der deutschen Politik, sagt er. Bereits die Große Koalition habe nie die Wahrheit über das wahre Ausmaß der Gefahren gesagt. „Jetzt ist der Krieg in den Norden gekommen und deswegen ist diese Schönwetterstrategie in sich zusammengebrochen“, wird Rühe zitiert.

Und er sieht die „zweite Lebenslüge“ im Anmarsch. Innerhalb der Nato tue Deutschland so, als stünde es uneingeschränkt solidarisch im Kampf gegen die Taliban. Innenpolitisch werde jedoch der Eindruck erweckt: Alles halb so schlimm – die Amis kämpfen, wir bilden Soldaten und Polizisten aus. Dass sich das Risiko für die deutschen Soldaten im Norden Afghanistans durch die von den USA angekündigte Groß-Offensive brutal vergrößert hat, liegt für den CDU-Politiker auf der Hand. Zumal zu Guttenberg ja angekündigt hatte, dass die Bundeswehr, der man oft vorwarf, sich zu sehr in den eigenen Lagern zu verschanzen, künftig mehr „in der Fläche“ operieren werde – sprich: in freier Wildbahn. Rühes Schlussfolgerung wird noch so manches Mal für Diskussionsstoff sorgen: „Das Abenteuer Afghanistan muss beendet werden.“