Istanbul. .
Überschattet von der Kontroverse um die Integration der Türken in Deutschland, aber auch geprägt von dem beiderseitigen Bemühen, die Wogen zu glätten, hat gestern ein politisch heikler Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Türkei begonnen.
In der Kontroverse um türkische Schulen in Deutschland, wie sie Ministerpräsident Tayyip Erdogan zuvor gefordert hatte, gab es eine Annäherung. In der Frage eines türkischen EU-Beitritts dagegen bleibt es bei deutlichen Differenzen.
Bei dem Besuch gehe es darum, Gemeinsamkeiten zu betonen, hieß es in Diplomatenkreisen. In den vergangenen Tagen waren allerdings erhebliche Spannungen zwischen Ankara und Berlin deutlich geworden. Kurz vor der Reise der Kanzlerin hatte Premier Erdogan im Streit um seine Forderung nach türkischen Schulen in Deutschland noch einmal nachgelegt und im Gespräch mit Journalisten der Kanzlerin „Hass auf die Türkei“ vorgeworfen. Bei ihrem Gespräch gelang es den beiden Regierungschefs dann aber, den Streit zu entschärfen: So, wie Deutschland Auslandsschulen unterhalte, könne natürlich auch die Türkei Schulen in Deutschland haben, sagte Merkel nach dem Treffen mit Erdogan. Das dürfe aber keine Ausrede für in Deutschland lebende Türken sein, nicht Deutsch zu lernen, betonte die Kanzlerin, denn dies sei eine Voraussetzung für gute Integration. Das bedeute ein „Ja zu Deutschland“ und dürfe nicht mit Assimilation verwechselt werden.
Erdogan hatte 2008 bei einem Auftritt vor Türken in Köln Assimilation als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ verurteilt. Jetzt sagte Erdogan, er sei „erfreut“ über diese Äußerungen der Bundeskanzlerin. Die Kanzlerin lobte die „tief verwurzelten“ deutsch-türkischen Beziehungen als „vorbildhaft“.
Keine Annäherung gibt es dagegen in der Frage der türkische EU-Perspektive. Merkel wiederholte ihren Vorschlag, die Türkei solle statt der Vollmitgliedschaft auf eine „privilegierte Partnerschaft“ mit der EU hinarbeiten – ein Konzept, das Erdogan kategorisch ablehnt. Das EU-Thema habe bei seinem Gespräch mit der Kanzlerin eine Schlüsselrolle gespielt, sagte Erdogan. Merkel unterstrich nach dem Treffen, gerade die Vertiefung der Europäischen Union mache es für die Türkei schwierig, die Bedingungen für einen Beitritt zu erfüllen. Merkel versicherte aber, die Beitrittsverhandlungen würden trotz divergierender Ansichten zur Frage der Vollmitgliedschaft fortgesetzt. Die Kanzlerin verwies dabei allerdings auf die nach wie vor ungelöste Zypernfrage. Sie sei das „wichtigste zu lösende Problem“ im Verhältnis der Türkei zur EU, sagte Merkel.
Deutliche Meinungsunterschiede zwischen Ankara und Berlin gibt es auch in der Politik gegenüber dem Iran: während die Kanzlerin weitere Sanktionen gegen Teheran fordert, wenn das Land im Atomstreit nicht nachgibt, setzt Erdogan auf Verhandlungen: Sanktionen hätten sich als wirkungslos erwiesen, sagte er. Die Diplomatie sei der beste Weg zur Lösung des Problems. Erneut spielte Erdogan auf das Atomarsenal Israels an: „Gibt es in der Region Atomwaffen Ja! Gibt es deswegen Sanktionen? Nein!“
Für die Türkei ist der Iran ein zunehmend wichtiger Wirtschaftspartner. Trotz der UN-Sanktionen entwickeln sich die Handelsbeziehungen gut. Der Iran ist zweitgrößter Gaslieferant der Türkei. Das bilaterale Handelsvolumen soll im kommenden Jahr auf rund 15 Milliarden Euro wachsen. Wichtigster Wirtschaftspartner für die Türken bleibt allerdings Deutschland. Die deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen werden den Schwerpunkt des heutigen zweiten Besuchstages der Kanzlerin in Istanbul bilden.