Rio de Janeiro. .
Sie hatten eigentlich keine Chance. Doch mit Glück und Einsatzwillen haben sie sich aus dem Sog der Favela befreit. Die Kinder aus dem Armen-Stadtteil Guadalup, die in der Fußballschule des Ex-Bayern-München-Spielers Jorginho im heißen Rio de Janeiro kicken und im Leben klarzukommen lernen, waren gestern die vorläufig letzten Südamerikaner, die Guido Westerwelle gesehen hat. Heute kehrt der Bundesaußenminister in die deutsche Innenpolitik zurück. Es wird eisig werden.
Chile, Argentinien, Uruguay und Brasilien in einer Woche. Sechs Städte, zehn Flüge. Was bleibt von diesem Trip? Viel weniger, als sich der Vizekanzler und sein Tross erhofft hatten. Dass Deutschland in Chile und Uruguay ein ewig ignoriertes diplomatisches Feld neu bestellt hat, dass in Argentinien und Brasilien die Kontakte zu den Regierenden mit neuem Leben erfüllt wurden, dass der Außenminister der deutschen Wirtschaft auf der Suche nach Investitionschancen entschlossen zur Hand ging – all das tritt in den Hintergrund. Überschattet von einem Vorwurf, der Außenminister selten ereilt: Günstlingswirtschaft.
Die Runde machte er schon vor dem Abflug vor einer Woche. Westerwelle und seine Entourage, sagen Eingeweihte aus diplomatischen Zirkeln, haben die Gefahr erst ignoriert und dann böse unterschätzt. Spekulationen, Westerwelles mitgereister Lebenspartner Michael Mronz, ein Vermarkter großer Sport-Ereignisse, könnte beruflichen Nutzen aus dem eigens für ihn gestrickten Besuchsprogramm ziehen, wurden genauso abgebürstet wie die berechtigte Frage, ob unter den acht Wirtschaftsbossen an Bord des Regierungs-Airbus’ vorzugsweise solche sitzen, die dem Minister und/oder dessen Partei gesondert zugetan sind.
Sind sie, so viel kann man sagen, mehrheitlich nicht. Aber „ehrenrührig“ war trotzdem eines der häufig benutzten Worte, wenn die Sprache darauf kam.
Alte Reflexe
Als dann noch die Nachricht platzte, dass bei einer früheren Dienstreise Westerwelles eine Firma vertreten war, an der der Bruder des Ministers Anteile hat, verfiel der langjährige Oppositionspolitiker restlos in alte Reflexe und sprach vergrätzt von Verleumdung und Attacken auf „meine Familie“.
Das daraus erwachsene Szenario ließ das Kernanliegen der Reise verblassen. Westerwelle wollte in Südamerika mit einer „umfassend neuen Strategie“ untermauern, dass er im Amt angekommen sei. Nach seiner „Grundsatzrede“ vor der Handelskammer in Sao Paulo war die Ernüchterung allerdings nicht zu übersehen. Basierend auf der Tatsache, dass Deutschland mit großen Teilen Südamerikas historische Schnittmengen hat, aber lange ausblendete, was sich im „Hinterhof“ der USA tut, soll nun der Westerwellsche Neuanfang her.
Wie? Ausgesprochen naheliegend und pragmatisch: 2014 (Fußball-WM) und 2016 (Olympia) stehen in Brasilien Ereignisse mit globaler Strahlkraft an. 300 Milliarden Euro seien im Topf, heißt es. Da müsste doch was zu holen sein. Westerwelle wirbt dafür, beim Straßen- und Stadionbau, bei der Erneuerung der Häfen und Flughäfen auf deutsche Firmen zurückzugreifen. Ein Ansatz, den – im kleinen Rahmen – jeder Wirtschaftsförderer im Ruhrgebiet auch verfolgen würde, wenn irgendwo die Ausschreibung für einen lukrativen Großauftrag lockt. Bei Westerwelle heißt es hochtönend „Strategie“. Aber wenn schon. „Wenn wir zum Zug kommen, ist mir das wurscht“, sagt ein Manager aus der Wirtschaftsdelegation.