Berlin. .
Als er verspätet den Raum betritt, ruft Guido Westerwelle aus, „ich hab’s vorher gesagt.“ Minutenlang hatte er Angela Merkel und Horst Seehofer warten lassen, zwar mit Ankündigung und entschuldigt, Kanzlerin und CSU-Chef tranken derweil ein Bier, aber durch Berlin waberte das Gerücht, der FDP-Mann wolle die Elefantenrunde im Kanzleramt „platzen“ lassen. Alles traut man Schwarz-Gelb zu, seltsam genug, alles trauen sich die Koalitionäre selbst zu.
Es wurde sogar eine ruhige Runde, wie alle drei beteuern (lassen), was auch daran liegen mag, dass sich Merkel und ihr Vize-Kanzler via Zeitung schon vorab die Meinung gesagt hatten. Sie stört sich an seiner Pose des Tabubrechers in der Hartz-IV-Debatte, wo doch alle im Kabinett mit dem Urteil zu den Regelsätzen umgehen müssen; alle dafür sind, dass sich Beschäftigung mehr als ALG II lohnt; alle ebenso die Hinzuverdienstmöglichkeiten erhöhen wollen; und wo doch nach dem Gesetz schon jetzt jedem die Hilfe gekürzt werden darf, der einen Job ablehnt.
Seehofer bat die Partner, aufs Tempo zu drücken und sich von der „Ebene des Abstrakten aufs Konkrete zu konzentrieren“. Stundenlang habe er sich mit dem Thema Hinzuverdienst befasst, „aber es ist nicht einfach“, fasste der CSU-Chef zusammen. Denn: Wer die Hinzuverdienstgrenzen anhebt, muss wissen, dass dann auch mehr Leute Hartz IV beantragen können. Ob Guido Westerwelle das so genau wissen wollte?
„Nichts ist so überzeugend wie die Realität“, bemerkt Seehofer listig. Es hört sich an, als hätten er und Merkel dem Partner den Kopf gewaschen. Anderntags im Bundestag musste der FDP-Chef die nächsten Belehrungen über sich ergehen lassen. Seine Kabinettskollegin Ursula von der Leyen (CDU) bat darum, nicht von Missbrauchsfällen auf alle Hartz-Fälle zu schließen. „Das ist nicht die Wirklichkeit.“ Der Grüne Fritz Kuhn rechnete ihm wiederum vor, dass ein Ehepaar mit einem Bruttoeinkommen von 1800 Euro keine Steuern zahlt.
Die CSU will helfen
Mit Steuersenkungen kann die FDP also den Abstand zwischen Niedrigverdienern und Hartz IV nicht erhöhen. Mindestlöhne aber meidet die FDP. Die Hartz-Sätze zu kürzen, ist nach dem Urteil des Verfassungsgerichts andererseits kaum möglich. Als vierte Möglichkeit bliebe, die Sozialbeiträge zu senken. Die Arbeitnehmer hätten dann mehr Netto vom Brutto.
Indes ist die Kraft des Faktischen trostlos. Der CSU-Chef hat die Beiträge der Arbeitnehmer in die Krankenkasse addiert und pro Kopf wieder aufgeteilt. So kam er auf eine „Kopfpauschale“ von 145 Euro im Monat und 21 Milliarden Euro Sozialausgleich. „Die Zahl ist unbestechlich“, ruft Seehofer anderntags vor Journalisten aus. Wo soll das Geld herkommen, wenn der Bund Schulden senken will, den Kommunen helfen soll und mehr für Bildung ausgeben möchte?
Laut Seehofer droht der Beitrag von 14,7 Prozent bis 2015 auf 20 Prozent zu steigen, wenn Gesundheitsminister Philipp Rösler nicht dringend etwas unternimmt, um die Ausgaben zu begrenzen. Die Botschaft an Westerwelle: Sein Parteifreund Rösler möge was tun und sich nicht auf die Kopfpauschale versteifen. „Wir werden helfen, wo es geht“, kündigte er für die CSU an, die auch ein Energiekonzept anmahnte; eine Spitze, die mal nicht der FDP galt, sondern der CDU, doch an der Atomkraft festzuhalten.