Berlin. .

Geführt hat sie immer, nur anders, lautlos, unscheinbar. Was manche für eine raffinierte Strategie der Selbstdarstellung hielten. Vorbei. Angela Merkel stellt sich gerade um. Die Machtworte häufen sich. Die FDP, aber auch das eigene Lager, die Union, fordert ihr mehr ab: Mehr klare Kante.

Anfang des Jahres stellte die Kanzlerin klar, dass sie die Steuerschätzung abwarten will. Seither verlief kaum eine Woche ohne weitere Machtworte. Die Steuersünder-CD wird gekauft, das Steuerprivileg für Hoteliers bleibt, für die Jobcenter soll das Grund­gesetz geändert werden. An Westerwelles „spätrömischer Dekadenz“ nimmt sie Anstoß. „Nicht mein Duktus“, sagt sie. Zuletzt fing sie am Wochen­ende Umweltminister Norbert Röttgen ein mit dem Satz, alle „Vorfestlegungen“ zum Atomausstieg seien „verfrüht.“

Am meisten hat sie wohl die Dekadenz-Debatte irritiert. Gefahr in Verzug ist eher in der Atomdebatte. Da hat ­Hessens Ministerpräsident Roland Koch ihr ein Basta abgenötigt, als er erklärte, er jedenfalls werde „nicht länger schweigen“, wenn jemand weiter versuche, Koalitionsvertrag und CDU-Grundsatzprogramm „mit ein paar Interviews zu verändern.“

24 Stunden später schickte sie ihren Sprecher Ulrich Wilhelm vor, um den Minister an den Koalitionsvertrag zu erinnern. Röttgens Atomdebatte sei ein Thema, „das alle aufbringt“, heißt es in der CDU. Zweimal haben sie in der Führung heftig darüber gestritten, zunächst im Präsidium, dann im Vorstand.

Rheinland versus Uckermarck

Auch FDP-Chef Westerwelle wurde deshalb schon vorstellig. Durch die Blume mahnt auch er Machtworte an, wenn er die Kanzlerin an Konrad Adenauer erinnert („Das Wichtigste ist der Mut“) oder auf Unterschiede im Temperament verweist: „Sie ist in der Uckermark und ich bin im Rheinland aufgewachsen.“

Da staut sich einiges auf, und es wird Zeit, dass er, Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer wieder zusammen essen gehen. Mittwoch ist es wieder so weit. Es ist viel zu besprechen. Interviews kann Merkel nicht verhindern. Sie kann nur dafür sorgen, dass die Politik ihrer Regierung nicht umgedeutet wird. Sie hofft insgeheim noch, dass sich die Abläufe im Laufe des Jahres beruhigen werden. Ihr wäre es recht, wenn sie sich nicht neu erfinden müsste und „Basta“ die Ausnahme bliebe.

Kabinett kein „Hort der Gemeinsamkeiten“ mehr

Früher, in der großen Koalition, sei ihr Kabinett „der Hort der Gemeinsamkeiten“ gewesen. Heute klingt alles ernüchternder. „Kurze Sitzungen, keine Diskussionen, da ist man eher enttäuscht“, erzählt ein Kabinettsneuling.

Es ist schwer zu sagen, ob der strukturelle Egoismus wirklich zugenommen hat. Auf jeden Fall ist Merkel deshalb gefordert, weil einiges im Koalitionsvertrag schludrig fixiert (Steuern) oder aus sachlichen Gründen (Atom) offen formuliert wurde. Und die Gesundheitsreform schob man gleich auf die lange Bank.

Kesse Welpenfraktion

„Es gibt eine unterschiedliche Sprache“, sagt jemand aus der Union. Den rigorosen Ton aus Oppositionszeiten hätten die Liberalen nicht abgelegt. Wenn Streitfragen nicht genau geregelt sind und Partner nicht dieselbe Sprache sprechen, kann sich schnell etwas hochschaukeln. Das Ergebnis sind eben jene wilden Debatten, die Merkel wiederum auf den Plan treten lassen. „Wir sind noch in Gärung“, heißt es entschuldigend im Kanzleramt.

Auch die Welpenfraktion im Kabinett macht es Merkel nicht leicht. Verteidigungs­minister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat Zug um Zug die Afghanistan-Politik neu definiert, meist in robuster Konkurrenz zu Westerwelle. Nicht minder kess ist Röttgen, der den Klimagipfel anders als Merkel einordnete und Landeskollegen auflaufen lässt: „Ich lasse mich nur durch Argumente beeindrucken“. Ist ein Machtwort ein Argument?